Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Johannes Bürk- Revolution in Schwenningen

geschrieben am: 24.12.2019 von: Ingeborg Kottmann in Kategorie(n): Johannes Bürk, Vorgeschichte, Württembergische Uhrenfabrik

Die Schwenninger Revolution

Die „Schwenninger Revolution“ begann am 27. März 1848 im Gasthaus „Bären“.1

Kauf- und Rathaus in Schwenningen 1830, wurde beim großen Brand 1850 vollständig zerstört.(Stadtarchiov Villingen-Schwenningen 3.1-3 Nr. 993)

Kauf- und Rathaus in Schwenningen 1830, wurde beim großen Brand 1850 vollständig zerstört.(Stadtarchiv Villingen-Schwenningen 3.1-3 Nr. 993)

Dort verfassten 23 angesehene Schwenninger Bürger, eine Schrift „An Ortsvorsteher und Gemeinderat … und laden die sämtlichen noch in ihrer Stellung verharrenden Herren, von derselben zurückzutreten und es den nachberechtigten Bürgern zu überlassen, in Ausübung des ihnen gesetzlich zustehenden Rechts diejenigen ihrer Mitbürger zur Gemeindeverwaltung zu berufen, welche sie ihres Vertrauens würdig erachten.“ Sie erwarteten, „daß dieser Erklärung die verdiente Beachtung zu Theil werde, andernfalls könnten sie nur bedauern, sehen zu müssen, wie den gegenwärtig noch mit der Gemeindeverwaltung Betrauten ihre Bestimmung, ihr eigenes und der Gemeinde Wohl gänzlich fremd geworden, und könnten für die Beruhigung der aufgeregten Gemüther in hiesiger Gemeinde so wenig, als für eine friedliche Lösung der gegenwärtig obschwebenden wichtigen Frage einstehen.“ Unterschrieben haben in folgender Reihenfolge: J. Bürk, Th. Daniel, Michael Vosseler, Karl Müller, Christian Stegmann, Erhard Jauch, Jakob Ayer, Johannes Schlenker, Martin Müller, Fausel, Johann Georg Weyler, Lud. Gula, Thomas Haller, Johannes Weyler, J. Mehne, Matthias Vosseler, Christian Haller, Jacob Müller, Jakob Mayer, Johannes Benzing. Johannes Bürk versah die Resolution mit einem Begleitschreiben vom 29. März. „Indem ich mich hiermit des mir gewordenen Auftrags entledige, bemerke ich aus eigenem Antriebe nur noch, daß einem alsbaldige Entschließung der betreffenden Mitglieder des Geimeinderaths um so nothwendiger ist, als nur der kleinere Theil des Collegiums noch nicht abgetreten ist, und die Leitung der Gemeindeangelegenheiten unmöglich in den Händen eines weniger als halben Gemeinderaths bleiben kann, die Bürger aber zu einer Ersatzwahl für die bis jetzt ausgetretenen Gemeinderathsmitglieder sich keineswegs herbeilassen, sondern erst nach erfolgter Auflösung des ganzen Collegiums zu einer Hauptwahl schreiten werden.

Schließlich richte ich noch die dringende, wohlgemeinte Bitte an die titl. Gemeinderäthe, den Unmuth der Bürger nicht ferner durch Drohungen, deren welche der ärgsten Art schon gehört wurden, zu erregen und zu steigern und den verächtlichen Namen „Gesindel“ nicht mehr gegen Bürger zu gebrauchen, welchen die gleichen bürgerlichen Rechte gehören und welche erst vor wenigen Tagen für ihre Mitbürger unter Leitung eines edlen Geistlichen der Gefahr gegengezogen sind, bereit, ihr Blut für dieselben zu vergießen.“2

Erst als die württembergischen Truppen abgezogen waren, wurde der Gemeinderat, obwohl auf Lebenszeit gewählt, abgesetzt. Allerdings kehrten – bis auf fünf – alle schon kurze Zeit darauf ins Amt zurück. Inzwischen waren fünf Gemeinderäte neugewählt worden, sie verblieben ebenfalls im Gremium.

 

Zeitungsfehde im Rottweiler Anzeiger

Johannes Bürk, einer der Unterzeichner der Petition, wurde durch verschiedene Hetzartikel im „Rottweiler Anzeiger“ als Aufrührer, Vaterlandsverräter und Schmuggler verbotener Schriften bezeichnet. Bürk war der Vorkämpfer für Veränderungen in der Gemeinde. „Es werden von einer Parthei, von welcher freilich nichts Gutes zu erwarten ist, welche aber einen großen Einfluß hier hat, folgende schändlichen Verdächtigungen gegen mich verbreitet: … Unordnung und Gesetzlosigkeit hervorgerufen und geleitet haben,“ Ihm sei der „schmachvolle Kravall vom 26. v. M. zuzuschreiben“ und er stehe „mit Hecker und Struve in Verbindung. … Es ist dies die Arbeit derjenigen Parthei, welche mir wegen meines freiheitlichen, gesetzmäßigen Strebens, wegen meines Auftretens gegen die lebenslänglichen Gemeinderäthe und gegen die hiesigen Bauern=Aristokratie bitterfeind ist, welche mich auf offener Straße meuchlings überfallen hat und mir mit Tod und Verderben droht.“

Bürk kündigte eine gerichtliche Untersuchung der Vorfälle an und fuhr fort: „Ich gebe darum für jetzt nur die vorläufige Erklärung, daß die fraglichen Gerüchte niederträchtige Lügen sind, wie man sie nur bei dem Fürsten der Hölle entlehnen kann“. Eine sehr direkte Sprache, veröffentlicht in der Rottweiler Zeitung.

Die Gegenseite antwortete mit neuen Unterstellungen und Verleumdungen. „Die hiesige Bürgerschaft kennt Bürk und es würde nicht der Mühe wert sein, auf eine solche Eingabe etwas zu erwidern, wenn nicht zu denken wäre, daß das auswärtige Publikum, so wie unsere Nachbars=Orte seine schamlosen Lügen glauben schenken möchten ….wäre er, was er schon längst wünschte, Gemeinderath oder gar Orts=Vorsteher, würde er der Lebenslänglichkeit der Gemeinderäthe gerne huldigen, .. überhaupt sollte es ihm aus wohlbekannten Gründen nicht einfallen, als Kandidat zur Stelle eines Gemeinderaths=Mitgliedes oder Orts=Vorstehers aufzutreten, denn er sollte doch denken und wissen, daß der größere und rechtliche Theil der Bürgerschaft gegen ihn ist,… Wir wünschen schließlich nur, er möchte erleuchtet von seiner angeblichen Reise zurückkommen, und aber bedenken, daß nur die besitzende Klasse Gemeinde und Staat bisher unterhalten haben, und fortwährend unterhalten wollen, nicht aber gewisse Proletarier, welche über die Geldbeutel, der sog. Bauern=Aristokratie, ohne diese zu fragen, gerne verfügen möchten. Den 21. Mai Die Bürger von Schwenningen.“3    Bürk entzog sich vorübergehend der Gemeindearbeit und ging aus beruflichen Gründen in die Schweiz.

Christian Link Bauer und Gemeinderat, geboren Dezember 1820, gestorben April 1903, wohnte in der Muslen vis-a-vis vom Schwanen in Schwenningen am Neckar (Bild: Heimat- und Uhrenmuseum Schwenningen, Guache)

Christian Link Bauer und Gemeinderat, geboren Dezember 1820, gestorben April 1903, wohnte in der Muslen vis-a-vis vom Schwanen in Schwenningen am Neckar (Bild: Heimat- und Uhrenmuseum Schwenningen, Guache)

Aufenthalt in der Schweiz

Aber auch dort ließen ihn die Geschehnisse in der Heimat nicht los. Er stand im Kontakt mit seinen Gesinnungsgenossen, z.B. dem Apotheker Theodor Daniel. Ihm gegenüber äußert Bürk seine Besorgnis über die Ereignisse in Deutschland und bedauert, dass man in der Schweiz nicht an einen Erfolg der Revolution glaubt und darüber spottet. Ferner beklagt er, dass die Arbeit ihn „eine so außerordentlich geringe thatsächliche Theilnahme an der Hebung des daniederliegenden Volkswohles gestattet.“ Weiter teilt er seine Wünsche mit, „so bleibt doch eine tiefe Sehnsucht in mir zurück, Hindernisse, die so groß sind und die ich doch oft nur zu überschätzen fürchte, aus dem Wege räumen zu können, um auf diesen sofern der – den ich eingeschlagen – der richtige ist, ungebeugt nur als treuer Streiter für Humanität u. Gesetzlichkeit weiterzustreiten.“ 4

 

Uhrmacher-Gewerbeverein für den Württembergischen Schwarzwald

Nach seiner Rückkehr 1849 wird Bürk in den Gemeinderat gewählt und zum Ratsschreiber berufen. Er gründete sofort eine Genossenschaft für das Uhrengewerbe „Uhrmacher-Gewerbeverein für den Württembergischen Schwarzwald“. Zweck der Genossenschaft war die Förderung des Gewerbes vor allem aber des Uhrengewerbes.5

Am 23. April 1849 setzten 67 Meister und ein Uhrenhändler ihre Unterschrift unter die Satzung. Johannes Bürk lag vor allem die Errichtung der Musteranstalt am Herzen, denn dort sollten die mathematischen und mechanischen Kenntnisse vermittelt werden. Eine Eingabe um staatliche Unterstützung wurde mit Einschränkungen abgelehnt, das Unternehmen schien zu umfangreich angelegt. Eine Förderung von einzelnen Betrieben erschien sinnvoller.6

Freischaren in Schwenningen

Weiterbildung war auch für Bürk ein Anliegen. In seiner Bibliothek fand man jedes damals wichtige technische Buch. Viele mit persönlichen Anmerkungen von ihm versehen. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1849 brach Adolf Maier, Apotheker aus Stettenfels und einer der aktivsten württembergischen Agitatoren während dieser Zeit, von Donaueschingen kommend mit ca. 60 bis 70 Mann, bewaffnet mit Gewehren und Sensen, in das Schwenninger Schultheißenamt ein und verlangte – vergebens – die Herausgabe von Gewehren und Munition. Fabrikant Rosée aus Donaueschingen hatte den Ratschreiber vor einem Einfall von Freischaren gewarnt. Diese hatten aber bereits aus Villingen die Nachricht erhalten, dass Adolf Maier den Beschluss gefasst habe, Schwenningen als erste württembergische Stadt zu überfallen. Ratsschreiber Bürk war also gut gerüstet, als die Freischärler kamen. Maier zog noch am selben Tag weiter nach Deißlingen.7

  1. Ute Beck, Albrecht Benzing, Thomas Bay, Die 48er Revolution in Schwenningen. 1974 ms. [Beck, 48er Revolution] Die württembergische Regierung spricht von einer „republikanischen Schilderhebung“. HStAS Best. E 146, Bü 1926. „Der von Seiten der königl. Staatsregierung ergangenen Aufforderung, die Schritte und Maßregeln des neuen Ministeriums mit Ruhe und Vertrauen zu erwarten, ist die große Mehrzahl der Württemberger in einer Weise nachgekommen, daß unser Land von Ruhestörungen wie sie anderswärts in Deutschland vorgefallen sind, verschont geblieben ist. Die Pflicht verfassungsmäßigen Gehorsams wie der Leistung der schuldigen Abgaben dauert für den Württemberger fort und die Gesetze sind nicht aufgehoben, … Alle Beamten und Ortsobrigkeiten werden daher aufgefordert, den ihnen anvertrauten Posten in dieser schweren und verhängnisvollen Zeit, so lange sie nicht im gesetzlichen Wege davon entbunden sind, nicht zu verlassen und das Ansehen des Gesetzes mit den durch das Gesetz in ihre Hand gelegten Mitteln ohne Furcht, mit Umsicht und Geschlossenheit, jedoch unter Beobachtung jeder dem konstitutionellen Staatsbürger gebührenden Rücksicht aufrecht zu erhalten.“ Rundschreiben der Regierung unter Römer. Es zeigt, daß auch in Württemberg nicht alles ruhig verlief. HStAS Best. E 146, Bü 1926. Zu den Vorgängen in Württemberg: Leibbrand, 1848. []
  2. Schreiben im Depositum der Familie Bürk. Heimatmuseum Schwenningen. []
  3. Schreiben von Bürk veröfentlicht im Rottweiler Anzeiger vom 19. Mai 1848, Erwiderung am 26. Mai Jemand der mit J. Bürk unterschrieb, warf ihm Unterschlagung vor. „Wegen Schuldenmachen drohe sein Untergang, und er wäre in Gant gerathen, wenn er dies nicht wegen Minderjährigkeit durch die Appellation beim Gerichtshof abgewendet hätte.“ Am 14. Juni entgegnet Bürk, er habe kein Geld unterschlagen, sondern aus Geldersparnis eine Summe per Wechsel bezahlt. „Damit sie aber diesen Nachtheil nicht ferner durch unehrliche Finten, wie in ihren beiden ,Erwiderungen’ auszugleichen versucht seien, und weil ich lieber in einem ehrlichen offenen Kampfe stehe, will ich ihnen, selbst auf die Gefahr hin, das ,rathe dir selber’ nochmals hören zu müssen, den wohlmeinenten Rath geben, mit Eifer und Fleiß sich wieder dem Schulbesuche zu unterwerfen, ehe sie nocheinmal ernstlich zur Feder greifen. – Vor dem Geiste desjenigen aber, welcher den unvergleichlichen staatswissenschaftlichen Lehrsatz (Erw. vom 21. Mai) entdeckt hat: daß nur die besitzende Klasse Gemeinde und Staat bisher unterhalten habe und noch unterhalte, ziehe ich voll Bewunderung und Hochachtung den Hut und beuge mich demuthsvoll zur Erde nieder, welche das Glück hat, von seinen Füßen getreten zu werden. Die größten Staatsrechtslehrer der Vergangenheit und Gegenwart sind nicht werth, ihm die Schuhriemen zu lösen. J.Bürk“ Biographische Angaben zu Johannes Bürk: Neher, Bürk. Michael Zimmerman, Der Herr der Zeit. Johannes Bürk, dem Tüftler und Denker zum 125. Todestag, in: Süd-West-Presse vom 29. November 1997. []
  4. Briefe finden sich in Konzeptform im Nachlaß der Familie Bürk. Heimatmuseum Schwenningen. Die Gesetze vom 18.6 und 6.7.1849 zur Gemeindeneuordnung brachten sogar im nachhinein noch einen Erfolg, schafften sie doch die lebenslänglichen Gemeinderäte ab. Die Wahl erfolgte nun im Dezember auf sechs Jahre und nach zwei Jahren trat jeweils ein Drittel aus und wurde durch Wahl ersetzt. []
  5. Dazu: Annemarie Conradt-Mach, Vom Bauerndorf zur Arbeiterschaft, hier: 3. Teil – In der Not: der Ruf nach dem Staat, Süd-West-Presse vom 13. September 1997 und 4. Teil – Handwerker in der Abhängigkeit von Fabriken, in: Süd-West-Presse vom 20. September 1997. []
  6. Die Eingabe ist abgedruckt in: Richard Bürk: Die Schwenninger Uhrmacher bis um’s Jahr 1929, Neudruck 1990 Villingen-Schwenningen, S. 23ff. []
  7. StA Sig. Wü 65/30. Ein Frühstück bekamen die Freischärler in Deißlingen. Die Rottweiler stärkten die Freischaren mit Getränken und Lebensmitteln bevor diese weiterzogen. Maier wollte eine Auseinandersetzung mit dem Scharfschützenkorps vermeiden. Maier soll den Beschluß zum Einfall in Villingen im Gasthaus „Zum Raben“ gefaßt haben. „Die Stadt sieht Wallensteins Lager ähnlich,“ schrieb der Rottweiler Anzeiger vom 4. Juli 1849 Nr. 78 als die Freischaren wieder abgezogen waren. HStAS Best. E 146, Bü 1928. Maier hatte sich bereits im Juni in dieser Gegend aufgehalten, denn er nahm am 10. Juni an einer Versammlung in Dürrheim teil. Reitz, Quelle, S. 167. Reitz nennt 30 Freischärler, die von den Einwohnern mit Sensen und Mistgabeln vertrieben wurden. []

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