Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Mehr Dienstleistung – mehr Qualifizierung

geschrieben am: 18.12.2019 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Strukturwandel und Arbeitslosigkeit

Mehr Qualifizierung in den Betrieben

Die Anforderungen an die neu „Einzustellenden“ wurden immer höher. Diese sollten sich bei den Arbeitszeiten flexibel zeigen und möglichst für weniger Geld arbeiten. Besonders galt dies für gehobenen technischen und kaufmännischen Positionen.1   Die Bewerber mussten ganz genau den Anforderungen der Unternehmen entsprechen. So wurden 1997 „ bei Bürokräften neben aktuellen EDV-Erfahrungen zunehmend  Kenntnisse in zwei Fremdsprachen verlangt. Bei Mitarbeitern für die Produktion [wurde] der Facharbeiterbrief verbunden mit zusätzlichen Kenntnissen … vorausgesetzt.“2

Das Arbeitsamt stellte 1996 fest, die Betriebe nähmen einen „regelrechten Qualifikationsaustausch“ vor, indem sie „weniger qualifizierte Mitarbeiter durch besser ausgebildete Arbeitnehmer“ ersetzten.3   Ab Oktober 1995 wurden zunehmend anstelle von Vollzeittätigkeiten „geringfügige Beschäftigungen auf  der 580 Mark-Basis angeboten.“4   Oft stellten sich die dem Arbeitsamt gemeldeten offenen Stellen auch als Tätigkeiten für Selbständige auf Provisionsbasis heraus.5

Qualifizierung von Arbeitslosen

Im Herbst 1996 stieg die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen wieder an. „Ihre spezifische Arbeitslosenquote erhöhte sich binnen Jahresfrist von 5,9 auf jetzt 8,5 Prozent.“6   In einem Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit wurden 1999  450 Jugendliche aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis qualifiziert, die anschließend eine Festanstellung  bei einem Arbeitnehmer-Überlassungs-Unternehmen erhielten.7

Das Arbeitsamt versuchte erfolgreich über alle möglichen Förderprogramme durch finanzielle Anreize Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen.8   Generell galt, Zusatzqualifikationen verbesserten die Arbeitsmarktchancen. Dies wurde z.B. mit  CAD-Kursen erfolgreich versucht.9   Arbeitgeber konnten für sechs Monate Lohnkostenzuschüsse bekommen, wenn sie arbeitslose Jugendliche einstellten.10   Ein  „Einstellungszuschuss bei Neugründungen“ unterstützte Existenzgründer, die  Arbeitslose in ihren neuen Betrieb einstellten. Keinerlei Resonanz fand dagegen der „Eingliederungsvertrag für Langzeitarbeitslose“.11

Einsatz öffentlicher Mittel

Die Entlassungen hatten Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft der Region. Auch das Angebot  der Südwestmesse wurde durch die Arbeitslosigkeit geprägt. Fünf Minister  besuchten 1994 die Messe in der Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Der Mittelstand und junge Existenzgründer waren für den Staatsminister Erwin Vetter 1994 das Mittel um von der hohen Sockelarbeitslosigkeit herunterzukommen. Finanzminister Mayer-Vorfelder wies auf die rund 850 Millionen DM des Landes hin, die in die Region in den letzten Jahren geflossen seien. Das Arbeitsamt warb auf der Messe um Ausbildungsplätze und führte Beratungsgespräche durch.12   Ministerpräsident Erwin Teufel eröffnete die Südwestmesse mit der Aufforderung, angesichts der Arbeitsplatzverluste „müssen wir aufwachen, Eigeninitiative entwickeln, besser, schneller  und ideenreicher als andere werden.“ „Wir brauchen junge Leute mit Mumm, die nicht von der 35-Stunden-Woche träumen.“13

Ende 1997 prognostizierte der Direktor des Arbeitsamts Horst Billing erstmals das „Ende der Talfahrt“.14   Im September 1998 war mit 6,8 Prozent das beste Ergebnis auf dem heimischen Arbeitsmarkt seit 1992 erreicht.15

Umbau der regionalen Metallindustrie

Trotzdem ging der Umbau der regionalen Metallindustrie weiter. Im Juli 1999 kam es zu Strukturkurzarbeit für 300 Beschäftigte, weil Betriebe umorganisierten und Teile ihrer Produktion aufgaben. Die Betroffenen wurden in Beschäftigungsgesellschaften qualifiziert, um sie für neue Arbeitsplätze bei anderen Arbeitgebern fit zu machen.16   „Der Schwerpunkt der Struktur-Kurzarbeit lag im August [1999] -–wie auch schon im Juli – im Maschinenbau.“17   Es gab wieder Facharbeitermangel in zahlreichen Branchen. Durch Weiterbildungsmaßnahmen des Arbeitsamts wurden viele zu Metallfacharbeitern umgeschult. Die Erfolgsquote anschließend wieder in Arbeit zu kommen lag jetzt bei 100 Prozent.18   1990 vor der Krise gab es im Schwarzwald-Baar-Kreis noch über 80 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, 10 Jahre später waren es rund  77 000, die Anzahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe sank von 1990 bis 2000 von rund 52 000 auf 38000.

Veränderungen der  Wirtschaft seit 1970

Arbeitslose, offene Stellen, Kurzarbeit im Arbeitsamtsbezirk Villingen-Schwenningen

Arbeitslose, offene Stellen, Kurzarbeit im Arbeitsamtsbezirk Villingen-Schwenningen

 

In den Wirtschaftskrisen 1975, 1983 und 1993 nahm die Arbeitslosigkeit stetig zu und ließ in den Erholungsphasen eine immer höhere Sockelarbeitslosigkeit zurück. Wir haben es gelernt, auch in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität mit Sockelarbeitslosigkeit zu leben. Rund 3 Prozent Arbeitslosigkeit sehen wir heute nahezu als Vollbeschäftigung an.

Der Anteil der Metallindustrie an den Wirtschaftsbereichen nahm in Villingen-Schwenningen ab,  der Dienstleistungsbereich nahm zu. Heute 2017 ist das Krankenhaus der größte Betrieb in Villingen-Schwenningen.  1970 gab es 45 036 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Villingen-Schwenningen, bei einer Einwohnerzahl von rund 82 000,  29 073  (64 Prozent) Menschen waren im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt.  2016  hat Villingen-Schwenningen 84 372 Einwohner und 39 483 Beschäftigte, davon 13 475  (34 Prozent) im produzierenden Gewerbe.19   Dafür haben die Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich stark zugenommen.

Die Arbeiterschaft hat abgenommen. Geändert hat sich die Zusammensetzung der Beschäftigten in der Metallindustrie, es gibt kaum noch angelernte Tätigkeiten. Facharbeiter, Techniker und Ingenieure  sind heute in den Betrieben der Metallindustrie beschäftigt. Geändert hat sich die Schulbildung der Jugendlichen. 1983 machten noch 40 Prozent aller Schulabgänger im Schwarzwald-Baar-Kreis einen Hauptschulabschluss, 31,4 Prozent einen mittleren Bildungsabschluss und 18 Prozent schlossen mit dem Abitur ihre Schullaufbahn ab.  Im Jahr 2014 hatten 19 Prozent der Schulabgänger einen Hauptschulabschluss, 48 Prozent einen mittleren Abschluss und 26 Prozent die Hochschulreife.20   Längere Schulzeiten bedeuteten, dass weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt drängten und dieser entlastet wurde. Die ganz großen Betriebe sind verschwunden, dafür haben wir heute sehr innovative vernetzte mittelständische Betriebe mit effizienten und flexiblen Betriebsstrukturen.

  1. Ebd.  S. 5/ 6 []
  2. PMAA, Nr. 56/97 September 1997 v. 6.10.97, S. 3 []
  3. PMAA, Nr. 24/ 96 März 1996 v. 9.4.1996, S. 4 u. 5 []
  4. PMAA, Nr. 67/ 95 Oktober 95 v. 6.11.1995, S. 4 []
  5. PMAA, Nr. 77/96 November 1996 v. 4.12.1996, s. 4 u. S. 5 []
  6. PMAA, Nr. 65/96 September 1996 v. 7.10.1996, S. 3 []
  7. PMAA, Nr. 23/99  März 1999 v. 7. April 1999, S. 4 []
  8. PMAA, Nr. 9/96 Januar 1996 v. 7.2.1996, S. 6 []
  9. PMAA, Nr. 24/ 96 März 1996 v. 9.4.1996, S. 4 u. 5 []
  10. PMAA, Nr. 59/99 []
  11. PMAA, Nr. 39/ 97  Juni 1997 v. 7.7.1997, S. 3 []
  12. Südwestmesse. Villingen-Schwenningen 1950 bis 2008. Ausstellung für Industrie, Handel, Handwerk, Hauswirtschaft und Landwirtschaft. Baufachschau und HausBauPark. Südwest-Messe S. 147 und  S. 159 []
  13. Ebd.  S. 159 []
  14. PMAA, Nr. 1/ 98   Dezember 1997 v. 8.1.1998, S. 4 u. 5 []
  15. PMAA, Nr. 49/ 98  September 1998 v. 5.10.1998 und Nr. 57/ 98 Oktober 1998 v. 4.11.1998 []
  16. PMAA, Nr. 54/ 99   Juli 1999 v. 4.8.1999, S. 2 []
  17. PMAA, Nr. 60/ 99  August 99 v. 6.9.1999, S. 2 []
  18. PMAA, Nr. 84/ 99   November 1999 v. 6.12.1999, S. 3 []
  19. SAVS 1.16 (1996)- 8015/06 Unterlagen zum Prognos-Gutachten von 1990 und Regionaldatenbank des Stat. Landesamts Baden-Württemberg v. 20.4.2017 []
  20. Stat. Landesamt 2014. []

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