Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Kaiser-Konkurs: Wer ist schuld?

geschrieben am: 11.12.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kaiser-Uhren

Aus Sicht der Gewerkschaften: Die Banken, die Unternehmer, zu loyale Betriebsräte

Bereits bei der Protestversammlung auf dem Benediktinerplatz am 9. Juli wurde von dem SPD-Landtagsabgeordnetem Adam Berberich die Frage nach den Ursachen und der Schuld am Kaiserkonkurs gestellt. Er „wies auf die Mitbestimmung in den Betrieben hin, die dringender denn je sei“ und stellte die Frage: „Wo ist das Risiko, das die Unternehmer tragen – es wird auf die Arbeiter abgewälzt.“ – Viele hätten 25 bis 30 Jahre in der Firma gearbeitet und müssten nun kurz vor ihrem verdienten Jahresurlaub stempeln gehen.
„Die Arbeitnehmer seien die letzten, welche die Hunde beißen“ stellte der IG-Metall-Bevollmächtigte, Erich Mayer bei der Demonstration fest. Mayer forderte die Zuhörer dazu auf, gemeinsam mit der Gewerkschaft alles zu tun, „um die Grenzen dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu erkennen und zu ändern, wozu es höchste Zeit sei.“1
Bereits am 7. Juli 1974 bei einer Funktionärsversammlung im Beethoven-Haus in Schwenningen erhob der Bevollmächtigte der IG-Metall schwere Vorwürfe gegen die Deutsche Bank und die Unternehmerfamilie Kaiser. „Die Deutsche Bank habe jahrelang mit Kaiser-Uhren glänzende Geschäfte gemacht und drehe jetzt, wo es zu Schwierigkeiten gekommen sei, abrupt den Geldhahn zu.“ …“Die Finanzlage der Firma… sei weitaus prekärer als allgemein angenommen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Kapitaleigner in jüngster Zeit großzügige Vermögensumschichtungen vorgenommen hätten.“ Mayer fordert die Umsetzung des Uhrenprogramms der Landesregierung aus dem Jahr 19722 und Unterstützung durch den Staat für die kleineren Firmen, damit sie die Umstellung auf die Quarzuhr bewältigen können.3
In einer weiteren Funktionärsversammlung am 17. 8. 1974 in der Tonhalle in Villingen kritisierte Erich Mayer den „unhaltbaren Zustand“, dass bei Kaiser-Uhren nur in zwei der zur Kaiser-Gruppe gehörenden Betrieben ein Betriebsrat eingesetzt sei. Das sei eine grobe Missachtung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952. Was leider auch auf Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Betriebsräte bei Kaiser-Uhren hindeute. „Mayer warf dem Betriebsrat (bei Kaiseruhren) vor, weitgehend untätig geblieben zu sein und sich von falsch verstandener Loyalität gegenüber der Arbeitgeberseite leiten gelassen zu haben.“ Die Geschäftsführung von Kaiseruhren habe „die Informationspflicht als unnötig angesehen.“ Bei Kaiser-Uhren hätte ein Aufsichtsrat gebildet werden müssen, „dazu sei es aufgrund der ablehnenden Haltung der Geschäftsleitung nicht gekommen.“
Der ebenfalls anwesende Bezirksleiter der IG-Metall Baden Württembergs, Franz Steinkühler, erklärte, dass die durch das Uhrenprogramm von 1972 in Aussicht gestellten Mittel, die vor allem Unternehmenskooperationen unterstützen sollten, von der Uhrenindustrie nicht angenommen worden seien. Ein solches Unternehmensselbstverständnis, bei dem die einzelnen Unternehmen „um eines scharfen Konkurrenzkampfes willen, der letztlich nur auf Kosten von Arbeitsplätzen ausgetragen werde, auf diese bereitstehenden Mittel“4 verzichte, sei für ihn fragwürdig.

Aus Sicht der Unternehmer: Die Banken, die hohen Personalkosten

In einer Stellungnahme5 in der Presse widersprach Herbert Zimmermann den Vorwürfen des IG-Metall- Bevollmächtigten. Das Unternehmen habe seiner Informationspflicht genügt, die IG Metall habe seit 1972 Bescheid gewusst. Er, Zimmermann, habe die Bildung eines Aufsichtsrats und eines Wirtschaftsausschusses gewünscht, sehe dies aber nicht als Aufgabe der Geschäftsführung an, weshalb es diese Gremien bei Kaiser-Uhren nicht gab. Am 25. Juni 1974 seien noch Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium in Sachen Kaiser-Uhren geführt worden. Das Ergebnis war negativ, da bei Kaiser-Uhren die Voraussetzungen für eine Liquiditätshilfe nicht gegeben waren. Nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums hätte es sich bei dem Villinger Unternehmen um einen Sanierungsfall gehandelt, für solche Fälle hätte es keine staatlichen Hilfen gegeben. Daraufhin lehnten die Banken die Kredite am 2.7. ab. Der Vergleichsantrag folgte am 5.7, der Konkursantrag am 8.7.

Katalog Kaiseruhren (Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen)

Katalog Kaiseruhren (Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen)

Der Verband der deutschen Uhrenindustrie sah in der Uhrenkrise vor allem eine Kostenkrise, „die von den Faktoren Materialpreiserhöhung, Steigerung der Energiekosten, Hochzinspolitik und vor allem von der Personalkostenentwicklung herbei geführt worden ist.“ Die Lohnforderung der IGMetall nehme „keine Rücksicht auf das wirtschaftlich Mögliche“. Sie gefährde „damit letztlich die Arbeitsplätze.“6 Dass die Industrie „zu wenig Eigenkapital“ habe, sei richtig. Ursache sei: „Wenn die Kosten steigen und die Erträge sinken, muss der Ausfall aus dem Eigenkapital bezahlt werden und bedroht die Liquidität der Firmen.“ Wer eine neue Maschine für 100 000.- DM kaufen möchte, dem nützten schließlich 10% Staatszuschuss wenig, wenn er die restlichen 90 000,-DM wegen der angespannten Liquiditätslage nicht zur Verfügung habe. Deshalb sei die 7,5 prozentige Investitionsprämie des Bundes für mittelständische Betriebe sinnlos.7
„Ist der Kaiser-Konkurs der Anfang einer Krisenreihe?“ Das fragte sich die Industrie- und Handelskammer. Man war sich einig, dass der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten der Uhrenindustrie sinken müsse. Bereits jetzt seien die Löhne in der Schweiz niedriger als in Deutschland. „Zur Frage der Konzentration, der freiwilligen Zusammenschlüsse, wurde festgestellt, dass zwar auf dem Gebiet der Kooperation in der Uhrenindustrie schon viel geschehen sei, dass aber noch zu wenig zusammengearbeitet werde.“8 Ein Unternehmer betonte nachdrücklich, „dass die Industrie den Weg der Kooperation selbst finden müsse, … jeglichem staatlichen Eingriff“ wurde „eine klare Absage“ erteilt.9

Aus Sicht der Politik: Die Inflation

Am 17. Juli 1974 fand eine öffentliche politische Versammlung in der Tonhalle vor rund 100 Zuhörern mit Staatssekretär Erwin Teufel statt. Erwin Teufel sah eine wesentliche Ursache der Probleme der Uhrenindustrie darin, „daß die in der Inflation begründeten ‚objektiven Schwierigkeiten‘ die Kraft der Kleinen einfach übersteige und den Mittelstand enorm gefährdeten. Bei Kaiser-Uhren hätten 529 Beschäftigte beim Arbeitsamt Antrag auf Arbeitslosenunterstützung gestellt … Als einziges Rezept aus diesem Dilemma herauszukommen, beschwor der Redner die Bevölkerung, noch einmal wie nach dem Zusammenbruch 1945 die Ärmel hochzukrempeln und mit Fleiß und einer Politik des Augenmaßes die Situation zu meistern.“10
Im Oktober 1975 als die Lage durch den Konkurs der Firma Mauthe in Schwenningen noch schwieriger geworden war, äußerte sich Erwin Teufel in einem Leserbrief, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen und mittelständischen Existenzen für ihn zur wichtigsten Aufgabe geworden sei. Viele Betriebe seien auf ihn zugekommen mit der Bitte „um Vermittlung einer Liquiditätshilfe, eines Zuschusses aus dem Mittelstandsförderungsprogramm, einer Landesbürgschaft oder eines Kredites der Landeskreditbank … Zahlreichen Betrieben konnte über die Schwierigkeit hinweggeholfen werden. Millionenbeträge sind auf diesem Wege als Kredit … in den Kreis geflossen. Freilich konnte nicht in jedem Einzelfall geholfen werden, weil nicht immer mit einer Sanierung gerechnet werden konnte.“ Nach Bekanntwerden der Probleme bei Kaiser-Uhren habe er sich am 9. Juli 1974 mit Wirtschaftsminister Dr. Eberle in Verbindung gesetzt und um Förderung der Firma Kaiser und der Uhrenindustrie gebeten und nach einem Uhrenprogramm gefragt.11
Wirtschaftsminister Eberle antwortete darauf, der Vorgänger im Amt habe in einer Presse-Mitteilung vom 7.4.1972 ein „sog. Uhrenprogramm“ angekündigt, „ bestehend aus einem Analyseteil und einem Maßnahmenkatalog“. Der damalige VDU (Verband der Deutschen Uhrenindustrie)-Vorsitzende und jetzige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Grüner habe die Auffassung vertreten „daß die Veröffentlichung eines Analyseteils untunlich sei und dahin zielende Überlegungen nicht fortgesetzt werden sollten. Dem habe ich mich angeschlossen (Wirtschaftsminister Eberle). Einer der wesentlichen Gründe hierfür war, daß der Verband Nachteile und eine Erschwerung der Wettbewerbsverhältnisse befürchtete, wenn partielle Schwierigkeiten in der Kleinuhrenindustrie durch Erklärungen des Ministeriums … in die öffentliche Erörterung gerieten. Die Lage der Großuhrenindustrie – und zu ihr gehört auch die Firma Kaiser – wies … demgegenüber kaum spezifische Probleme auf.“.12

  1. SAVS 1.16-1998 Schwabo 10.7.1974 []
  2. Von 1966 bis 1972 gab es eine CDU/SPD-Koalition in Baden-Württemberg. Von 1972 bis 1992 regierte die CDU allein. Das Uhrenprogramm war noch unter der großen Koalition beschlossen worden. []
  3. Schwabo 8.7.1974 IG Metall durchleuchtet Vorgänge bei Kaiser-Uhren: „Fünf Minuten vor zwölf für deutsche Uhrenindustrie. „Dabei beurteilt Erich Mayer die Chancen der Uhrenindustrie als ausgezeichnet. Bis in die achtziger Jahre hinein sagt er dieser Branche Wachstumsraten voraus, die sich mit denen der Elektro-Industrie messen könnten. Die Entwicklungsländer und auch die Ostblockländer bedeuteten eine riesige Marktlücke. In zehn Jahren könne die Uhrenindustrie, weltweit gesehen, ihren Absatz verdoppeln. Schon die Vergangenheit habe bewiesen, allerdings von Ausnahmen abgesehen…. Dass die Uhrenindustrie eine krisenfeste Branche sei und bei steigendem Absatz nur sehr geringen Konjunkturschwankungen ausgesetzt sei.“ Leider erfüllten sich diese Hoffnungen nicht. []
  4. SAVS 1.16-1998. SK v. 17.8.1974 „Zwischen Verfassungsrecht und Wirklichkeit klaffen Welten.“ BZ 17.8.1974 IG Metall schildert den Konkurs aus ihrer Sicht. Schwabo 17.8.1974 IG Metall: „Wo sind 4,5 Millionen Mark vom Stammkapital der Firma Kaiser-Uhren geblieben?“. Ebenso Stgt Zeitung 19.8.1974 Gewerkschaftskritik am Kaiser-Konkurs. Steinkühler fragt Verwaltung der Uhrenfirma nach Verbleib des Stammkapitals. []
  5. SAVS 1.16-1998. Schwabo 21.8.1974.Kaiser-Uhren: Konkurs wegen Zahlungsunfähigkeit. Dr. Herbert Zimmermann nimmt zu Vorwürfen der IG Metall Stellung/ ‚Halbwahrheiten in Sachen Kaiser-Uhren‘ []
  6. SAVS 4.9-866 Die Welt 7.1.1975 Walter H. Rueb, Uhrenindustrie im Schwarzwald: Schwindender Absatz, wenig Kapital, Arbeitslose und Kurzarbeiter. Die Zeiger stehen auf fünf vor zwölf. VDU-Verbandsvertreter Wahl, v. 24.1.1975 Der VDU nimmt Stellung zu dem Artikel in der Welt. []
  7. a.a.O. []
  8. SAVS 1.16-1998. Schwabo vom 21.8.1974 []
  9. SAVS 1.16-1998. Schwabo 12.7.1974 []
  10. SAVS 1.16-1998. SK 19.7.1974 Staatssekretär Erwin Teufel: Schwierigkeiten der Inflation geht über die Kraft der Kleinen. []
  11. SAVS 1.16-1998.SWP v. 9.10.1975 Erwin Teufel: Von Anfang an eingesetzt. Zur Äußerung der SPD in Villingen-Schwenningen. – Leserbrief. []
  12. SAVS 1.16-1998 Schwabo 21.8.1974 Wirtschaftsminister nimmt Stellung. Brief an Teufel. Antwort auf Teufels Schreiben vom 9. Juli. Siehe auch SAVS 4.9-865Stuttgarter Nachrichten v. 16.9.1974 Brigitte Möck: Kaiser –Konkurs gab einem alten Thema neue Nahrung: Gehen die bundesdeutschen Uhren falsch? Verband: keine branchenspezifische Krise – Programm der Landeregierung realitätsfern – technisch auf der Höhe. Die Uhrenkrise beschäftigt den Stuttgarter Kongress für Chronometrie. „Die Landesregierung hat aber schon vor zwei Jahren auf die Schwierigkeiten den Branche reagiert, eine Analyse erarbeitet und einen Uhrenplan vorgelegt. In der Analyse wurde festgestellt, dass die Zuwachsraten in der Uhrenindustrie weit unter denen der Gesamtindustrie lagen … Im gesamten Uhrenexport betrug die Zuwachsrate von 1960 bis 1970 nur 82 Prozent gegenüber 188 Prozent im Durchschnitt der baden-württembergischen Gesamtindustrie. Die Investitionen gingen sogar zurück, von 30 Mill. DM in 1962 auf 30,3 Mill.DM in 1969.“ – Landesmittel für kooperationsfördernde Investitionen würden nicht genutzt. „Auf diese von der Industrie nicht genutzten Angebote der Landesregierung bezogen sich auch die Vorwürfe der IG-Metall nach der Schließung von Kaiser-Uhren. Das Wirtschaftsministerium in Stuttgart bestätigte, dass bisher kein Antrag auf einzelbetriebliche Förderung seitens der doch offensichtlich notleidenden Unternehmen eingegangen sei…Doch der Verband der Deutschen Uhrenindustrie konterte: … Tatsache sei, dass die gesamte Uhrenbranche nicht von einer Absatz-, sondern von einer Kostenkrise geschüttelt werde… Notwendig seien billige Kredite, um Liquiditätsschwierigkeiten zu beheben, die bei der geringen Eigenkapitaldecke der Betriebe immer drohender würden.“ []

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