Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Gründung einer Familienaktiengesellschaft

geschrieben am: 13.03.2023 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle 1900 bis 1970
Familie Jakob Kienzle - Von links nach rechts: Martha, Christian, Alma, Erich, Agathe, Jakob, Hellmut, Elsa, Herbert. Es fehlen Marie und Oskar.

Familie Jakob Kienzle – Von links nach rechts: Martha, Christian, Alma, Erich, Agathe, Jakob, Hellmut, Elsa, Herbert. Es fehlen Marie und Oskar. Stadtarchiv Villingen-Schwenningen

Im 1. Weltkrieg hatte das Unternehmen zwar sehr gut verdient, allerdings verloren Jakob und Agathe Kienzle bereits 1915 ihren Sohn Oskar (1893-1915). Die Kinder Erich Kienzle und Elsa Mall geb. Kienzle erlagen 1920 der Spanischen Grippe.  Der Schwiegersohn Herbert Ehrlich starb 1921 nach einer Operation.  ((  Herbert Ehrlich (20.März 1884 – 12.Dez. 1921)   heiratete 1917 Marthe Kienzle, eine Tochter Jakob Kienzles. „Er war der Sohn des gleichnamigen Vize-Admirals…. Er war Führer eines Zeppelinluftschiffes und bei der Übernahme eines  solchen bei den Luftschiffwerften in Friedrichshafen lernte er Marthe kennen, die im Kurgartenhotel dort war, um sich im Kochen auszubilden. Herbert Ehrlich war der einzige Flieger, der seit Beginn des Krieges einen Zeppelin führte. Alle anderen haben den Heldentod durch ihren Beruf als Zeppelinkreuzer erlitten“. (Jakob Kienzle, Mein Leben und mein Werk. S. 114) Nach dem 1. Weltkrieg trat er in das Unternehmen seines Schwiegervaters ein. Er starb 1921 nach einer Operation.  ))  

Im Spätjahr 1919 zog Jakob Kienzle mit seiner Frau nach Stuttgart, gründete eine Kommanditgesellschaft aus den Villinger und Schwenninger Kienzle-Betrieben und übergab die Leitung des Unternehmens an seine Söhne Herbert, Erich und Christian. Jedes der Kinder bekam einen Geschäftsanteil. Die Söhne Christian (1886-1925), Herbert (1887-1954)  und Erich (1890-1920) erhielten außerdem Einzel-Prokura.

Gründung der Kienzle-Uhren AG 1922

Der Verlust der Kinder Oskar 1915, Elsa und Erich 1920 sowie des Schwiegersohns Herbert Ehrlich 1921 war vermutlich  die Ursache dafür, aus der KG eine Familien-Aktiengesellschaft zu machen, in der das Stamm-Kapital der neuen Aktiengesellschaft zwischen den  Kienzle-Erben entsprechend ihrer Stellung im Betrieb aufgeteilt wurde. (( Jakob Kienzle, Mein Leben und mein Werk. Meinen Kindern und Enkeln gewidmet. S. 118 ))

Das Errichtungsprotokoll der Kienzle AG. wurde am 11.11. 1922 in Stuttgart unterzeichnet.  ((  SAVS 1.42.71 Nr. 36 ))

Die Aktionäre

Aktionäre waren Jakob Kienzle und seine Ehefrau Agathe, die Söhne Christian (1886-1925), Herbert (1887-1954) und Hellmut (1900-1962).

Einen Aktienanteil erhielt die Tochter Marie Ammer (1883) geb. Kienzle, verheiratet mit dem Reutlinger (Leder) Fabrikanten Ernst Ammer (1877-1963). Letzterer war ein bedeutender Unternehmer der Reutlinger Lederindustrie. .

Nach dem Besuch der Oberrealschule in Reutlingen und einer dreijährigen kaufmännischen Lehre übernahm er das 1876 gegründete väterliche Unternehmen. Mit seiner Ehefrau Marie geb. Kienzle (1883)  hatte er eine Tochter und zwei Söhne.

Aktionärin war Marthe Ehrlich (1895)  geb. Kienzle, seit 1921 Witwe des Herbert Ehrlich, Fabrikant in Schwenningen. 1924 heiratete sie in 2. Ehe Dr. Ing. Robert Durrer.  Robert Durrer (1890 – 1978), ein gebürtiger Schweizer,  studierte Eisenhüttenkunde in Aachen. 1928 wurde er zum ordentlichen Professor für Eisenhüttenkunde an der Technischen Hochschule Berlin berufen. Im Kriegsjahr 1943 nahm er den Ruf als Professor für Metallurgie an der ETH Zürich an, an der er bis 1961 blieb, gleichzeitig wurde er Mitglied des Verwaltungsrats der Ludwig von Roll’schen Eisenwerke AG mit leitender Stellung in Gerlafingen. Robert Durrer war ein bedeutender Wissenschaftler, der für seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Metallurgie viele wichtige Auszeichnungen erhielt.

Aktionärin war Alma  Zschocke (1891) geb. Kienzle, Ehefrau des Heinrich Zschocke (1885-1986), Fabrikdirektor in Kaiserslautern. Heinrich Zschocke wurde 1885 in Kaiserslautern geboren. Er studierte Maschinenbau in München. Nach dem Studium sammelte er Erfahrungen in befreundeten Unternehmen und unternahm eine Studienreise nach Amerika. 1909 trat er als Ingenieur in das väterliche Unternehmen ein. Die Zschocke-Werke in Kaiserslautern hatten ein sehr vielseitiges Fabrikationsprogramm von landwirtschaftlichen Maschinen über Möbel bis zur Gasreinigungsanlagen für die Hüttenindustrie. Während des 1. Weltkrieges produzierte das Unternehmen für die Rüstungsindustrie. Die Belegschaft stieg in dieser Zeit auf 1200 Mitarbeiter an.

Aktionäre waren der Donaueschinger Architekt und Unternehmer Georg Mall (1878-1956) mit seinen Söhnen. Georg Mall war der Witwer von  Elsa Kienzle  (1888-1920). Das Paar hatte zwei Söhne Roland Oskar Anton und Hans Georg Herbert.

Die Zementwarenfabrik Mall wurde 1887 von dem Ingenieur Anton Mall, dem Vater von Georg Mall gegründet. 1902 gehörte die Firma Mall bereits zu den  größten Arbeitgebern in Donaueschingen und beschäftige 60 Mitarbeiter. Das Unternehmen wurde 1952 von den Enkeln des Firmengründers, Roland und Hans-Georg Mall,  in das Betonwerk Mall & Co. in Pfohren umgewandelt

Der Aufsichts- und Verwaltungsrat

Zu Mitgliedern des Aufsichtsrats wurden auf der Gründungsversammlung durch Zuruf bestimmt:

  1. Kommerzienrat Jakob Kienzle,
  2. Hofrat Karl Johannes Schlenker, der Schwager von Jakob Kienzle,
  3. Ernst Ammer, Fabrikant in Reutlingen,
  4. Georg Mall, Architekt und Unternehmer in Donaueschingen,
  5. Heinrich Zschocke, Fabrikdirektor in Kaiserslautern.

Diese Personen bildeten zugleich den Verwaltungsrat.

Der Aufsichts- und Verwaltungsrat bestimmte dann Jakob Kienzle zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Hofrat Karl Johannes Schlenker wurde erster Stellvertreter des Vorsitzenden und Fabrikant Ernst Ammer zweiter Stellvertreter.

Zu Mitgliedern des Vorstands wurden dann durch den Aufsichts- und Verwaltungsrat bestellt die Söhne Jakob Kienzles  ((  SAVS 1.42.71 Nr. 36  ))  : Christian Kienzle  (( 1886-1925 , Christian Kienzle schied 1925 freiwillig aus dem Leben.))   und Dr. Ing. Herbert Kienzle  ((1887-1954 ))  .

Die Familienaktiengesellschaft

Aufsichtsrat und Vorstand der Kienzle Uhren AG waren exclusive Organisationen. Das Stammkapital  des Unternehmens, das 1922 allein in Schwenningen 1577 Mitarbeiter und in Villingen 1923 1100 Mitarbeiter zählte, wurde unter den Familienmitgliedern der engeren Familie Jakob Kienzles aufgeteilt. Sämtliche wichtige Positionen von Familienmitgliedern, Söhnen und Schwiegersöhnen und dem Schwager besetzt. Man ging davon aus, dass zwischen Familienmitgliedern enge und vertraute Beziehungen bestünden und man auf diese Weise eher auf ein gemeinsames Interesse am Bestehen des Unternehmens hoffen konnte. Durch die „Wahl“ der Schwiegersöhne konnten außerdem enge vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Unternehmen hergestellt werden. Man durfte darauf hoffen, dass man bei unternehmerischen Schwierigkeiten finanzielle Unterstützung erhielt, wie dies z.B. für die Zschocke-Werke für das Jahr 1928 überliefert ist, die in einer durch eine Patentklage hervorgerufenen Notlage von Jakob Kienzle unterstützt wurden.  (( Dr. Franz Ress und Dr. Fritz Zierke, 90 Jahre Zschocke-Werke Kaiserslautern. Ein Rückblick auf ihre Entwicklung und Leistung. Kaiserslautern 1958, S.  43 ))

Auffallend an den Familienaktienbesitzern  ist die Tatsache, dass Jakob Kienzle seine Töchter mit bedeutenden Unternehmern verheiratete und so vermutlich eine Vernetzung wichtiger Industrieunternehmen herstellte. Aus diesen Beziehungen entstanden immer wieder Vorteile für das eigene Unternehmen.

Die hier genannten Familienmitglieder bestimmten mit ihrem Wissen und ihren persönlichen privaten und unternehmerischen Erfahrungen die Geschicke der Uhrenfabrik Kienzle bis in die Mitte der 60er Jahre des 20 Jahrhunderts. Das Beziehungsgefüge wurde in wirtschaftlichen Krisenlagen wichtig, war immer wieder hilfreich, gestalteten aber die Zeit nach 1950 für das Unternehmen immer schwieriger, weil die alten Einsichten nicht mehr für die Bedürfnisse der neuen Zeit hilfreich waren.  (( Hartmut Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung. Berlin 2016, 2. Aufl. S. 182 f))

 

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