Kriegsgewinne – Kriegsverluste
Im Unterschied zu früheren Kriegen wurde der Erste Weltkrieg zwischen industrialisierten Staaten geführt. Wichtiger als der traditionelle Kampf Mann gegen Mann war nun moderne Waffentechnik. Als kriegsentscheidend in den neuen »Materialschlachten« sollte sich die Wirtschaftskraft erweisen.
Der technologisch hochgerüstete Krieg verbrauchte immense Mengen an Munition. Schätzungen zufolge benötigte die Artillerie im Ersten Weltkrieg etwa 850 Millionen Granaten. Für diese Sprengbomben lieferten deutsche Uhrenfirmen Zünder.
Der Krieg bot neue Möglichkeiten, neue Vernetzung mit der Rüstungsindustrie, neue Herausforderungen in Technik und Produktion, neue Karrieremöglichkeiten und nicht zuletzt auch neue Gewinne.
Gewinne durch überlegene Technik
Die Kienzle-Zünder waren den entsprechenden Produkten des Feindes nach Ansicht Jakob Kienzles angeblich „weit überlegen.“ 1 Mit seinen Heeresaufträgen konnte Kienzle auch vielen weiteren feinwerktechnischen Betriebe in Schwenningen zu Aufträgen verhelfen.
Ab Mitte November 1914 erhielt Kienzle Aufträge für vollständige „K.S.14“ Zünder mit Sprengstoff geladen. „Das verursachte viel Neueinrichtung und Arbeit. Allein, ich hatte tüchtige Leute, so dass ich nach 16 Tagen die ersten fertigen Zünder zum Beschuss nach Siegburg liefern konnte…. Das Ergebnis war ganz vorzüglich. – kein Versager oder Blindgänger.“
Es gab grosse Folgeaufträge für fertige Zünder, Kienzle musste daher fremde Hilfe in Anspruch nehmen und beschäftige weitere Unternehmen der Region: so die Unternehmen Schlenker-Grusen, Maschinenfabrik Schneider, Irion und Vosseler und weitere kleinere Meister. Außerdem Unternehmen in Eisenbach und Gosheim.
Die Versandziffern bei Kienzle schnellten durch die Rüstungsaufträge in die Höhe. Im Jahre 1918 verkaufte das Unternehmen seine Produkte – überwiegend Zünder – für 19.771.616,69 Goldmark. 1914 hatte die Firma nur 3.674.309,16 Reichsmark erzielt.
Trotz schwieriger kriegsbedingter Produktionsbedingungen stieg die Effektivität durch die Kriegswirtschaft erheblich. Und das bei einer weitgehenden Beschäftigung von Frauen und Jugendlichen.
Die Ehefrauen der Soldaten ersetzten, soweit das möglich war, die Männer in der Fabrik. Anstelle von Uhren wurden nun Zünder hergestellt, überwiegend von zarten Frauenhänden. Jakob Kienzle selbst kümmerte sich um die Aufträge und sorgte dafür, dass die Qualität seiner Produkte besser als die der Konkurrenz war. Es wurden K.S.14 Zünder vollständig geliefert, „fix und fertig, mit Sprengstoff geladen. Das verursachte viel Neueinrichtung und Arbeit. Allein ich hatte tüchtige Leute. … Ich selbst konstruierte einen neuen Zünder für 7,7 cm Granaten während des Krieges.“ Für seine Leistungen auf kriegstechnischem Gebiet wurde Jakob Kienzle 1917 vom württembergischen König zum Kommerzienrath ernannt.“
Die Kienzle-Zünder waren den entsprechenden Produkten des Feindes angeblich „weit überlegen.“ Mit seinen Heeresaufträgen konnte Kienzle auch weiteren feinwerktechnischen Betrieben in Schwenningen zu Aufträgen verhelfen.
Die Arbeit der Frauen, die jetzt die eingerückten Soldaten ersetzten, war gut. Probleme mit Arbeitern tauchten erst wieder auf, als die Männer aus dem Krieg zurückkamen.
Jakob Kienzle schreibt, das Unternehmen sei verpflichtet gewesen „alle von uns eingerückten Soldaten… wieder zu beschäftigen.“ An der Front hatten diese aber das „stetige Arbeiten der Fabrik vollständig verlernt“ und brachten wohl auch revolutionäre Ideen mit. So war 1923 Jakob Sulan Betriebsratsvorsitzenden bei Kienzle. Er wurde 1923 beschuldigt einen sozialistischen Aufstand von Schwenningen aus geplant zu haben.
In der Rüstungsindustrie musste mit ganz geringen Toleranzen produziert werden. Mit derselben Genauigkeit sollten nun nach dem Krieg die Uhren hergestellt werden, was nach Ansicht Jakob Kienzles zur Verbesserung der Qualität führte und die Effizienz der Unternehmen erheblich steigerte.
Verluste
Jakob Kienzle verlor schon im Januar 1915 seinen Sohn Oskar durch den Krieg, was seiner Frau Agathe fast das Herz brach. Insgesamt sind 80 Mitarbeiter der Fa. Kienzle im ersten Weltkrieg gefallen. An die Gefallenen erinnert eine Gedenktafel im Innenhof der ehemaligen Uhrenfabrik Kienzle. Solche Kriegsverluste wurden hingenommen.
Dr. Ing. Herbert Kienzle wurde 1917 in Amerika in einem Internierungslager festgehalten, Oskar fiel bereits 1915. Aus dem Krieg zurück kamen der Schwiegersohn Herbert Ehrlich und der Söhne Christian und Erich Kienzle. 2
Christian „war im Felde verschüttet worden, und durch Gase stark vergiftet, mit den Nerven kolossal herunter, so dass er kaum schreiben konnte. Er brachte auch das eiserne Kreuz mit heim. Herbert Ehrlich, der Schwiegersohn, kam mit hohen Orden und Auszeichnungen nach Hause, nachdem er ungefähr 22mal mit seinem Zeppelin über England Bomben abgeworfen hatte.“3
Der Sohn Erich Kienzle wurde vom Heeresdienst freigestellt und kümmerte sich zu Hause um die Munitionsfabrikation.
Innovationen
Eine kriegstaugliche Armeearmbanduhr entwickelte der Kienzle-Ingenieur Dickhoff, die ihre besondere Eignung für die Soldaten im Feld erwies und mit „Radiumziffern und Radiumtzeigern“ versehen war. Damit die Soldaten jederzeit sehen konnten, wie spät es war. Von dieser Uhr wurden wöchentlich bis zu 12 000 Stück hergestellt.4
Jakob Kienzle selbst konstruierte einen Zünder5 . Für seine Erfindung wurde ihm „das Eiserne Kreuz“ versprochen, was leider wegen des unrühmlichen Kriegsendes dann nicht geschah“. Allerding wurde Jakob Kienzle vom württembergischen König Wilhelm II. für seine“ Leistungen auf kriegstechnischem Gebiet 1917 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt.“6 Mit diesem Titel hatte er endlich seinen ehemaligen Konkurrenten Kommerzienrat Christian Mauthe eingeholt.
Heldentum?
Der Krieg brachte neue Herausforderungen, Abenteuer und Heldentum, was beides Ansehen versprach, eine Reflektion über den Sinn bzw. die Sinnlosigkeit kriegerischen Handelns und über den Wert menschlichen Lebens fand eher nicht statt. Menschliches Leben war vielleicht auch in friedlicheren Zeiten von Krankheit und Armut bedroht, so starb Herbert Ehrlich 1921 nach einer Operation in Stuttgart, Erich Kienzle starb am 17. Februar 1920 nach dem er sich in Berlin an der (spanischen) Grippe angesteckt hatte, seine Schwester Elsa (verh. Mall), die ihn während der Krankheit besuchte, starb ebenfalls 8 Tage nach Erich.7
Der jüngste Sohn Jakob Kienzles, Helmut, im Jahr 1900 geboren war bei Beginn des ersten Weltkriegs gerade 14 Jahre alt. Als kriegsbegeisterter vierzehnjähriger machte er heimlich seine Prüfung als Kraftwagenführer. Jakob Kienzle schreibt über seinen Sohn:
„Er lernte das Fahren … neben der Schule her und meldete sich mit seinem Fahrschein bei dem Kriegsministerium in Stuttgart. Mir selbst schrieb der damalige Kriegsminister, Exzellenz von Marchtaler, er freue sich über den jungen Vaterlandsverteidiger und vertröstete ihn auf spätere Zeiten, wenn der Krieg solange daure.
Nach bestandener Maturitätsprüfung hat sich Helmut sofort zum Militärdienst freiwillig gemeldet.“ Im Frühjahr 1918 (musste er sich doch noch) „als Artillerist einkleiden lassen und in Cannstatt die militärische Ausbildung durchmachen. Es war drauf und dran, dass er anfangs November noch ins Feld rücken musste. Allein, die Umstände und der baldige Waffenstillstand liessen es nicht mehr dazu kommen, was Hellmut sehr bedauerte.“
Die Wirtschaftsführer, die um 1950 die Unternehmen leiteten, waren durch den 1. Weltkrieg geprägt worden, erlitten die Niederlage als Schmach und mussten ihre Unternehmen durch die Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik führen, deren Ursachen von vielen in den Mängeln des neuen demokratischen Systems gesehen wurden. Diese Wirtschaftsführer bestimmten mit Ihren Werten, Leitbildern und Erfahrungen überwiegend die Geschicke von Wirtschaft und Gesellschaft bis in die 60er und 70er Jahre hinein.
Die Menschen, die nach 1945 in den Vorständen der Betriebe saßen, waren die gleichen geblieben wie vor 1945 und die Netzwerke, die bis 1945 bestanden, bestanden auch noch 1946.
- SAVS Best. 1.42.71 Nr. 29, Jakob Kienzle, Mein Leben und mein Werk. Meinen Kindern und Enkeln gewidmet. 1931 [↩]
- Ausmarschieren mussten von meinen Leuten: (Der Schwiegersohn) Ernst Ammer, als Hauptmann der Infanterie; Georg Mall (schwiegersohn) als Hauptmann der Artillerie; Christian, der während des Krieges Leutnant wurde, als Vizewachtmeister der Artillerie; ferner ging Erich als Freiwilliger mit einer Kraftwagenkolonne ins Feld. Aus: Jakob Kienzle, Mein Leben und mein Werk. S. 85 [↩]
- Ebd. S. 114 [↩]
- Ebd. S. 105 [↩]
- Ebd. ff [↩]
- Ebd. S. 109 [↩]
- Ebd. S. 119 [↩]