Der Arbeitskampf und die Medien
Der Arbeitskampf in der Metallindustrie war auch ein Konflikt, der in der Presse, im Radio und im Fernsehen stattfand.
„Ein publizistischer Erfahrungsbericht“ des Verbands der württembergisch-badischen Metallindustriellen stellte fest, dass die Öffentlichkeitsarbeit während des Arbeitskampfs eine große Rolle spielte.1 Grundsätzlich hätten es die Gewerkschaften leichter als die Arbeitgeberverbände in der Öffentlichkeit gut dazustehen.
„ Ihre Aktionen [fänden] auch in den Lokalteilen der Presse ihren Widerhall – egal, ob es sich um Protestversammlungen, um Urabstimmung oder um die Auszahlung von Streikgeldern handel[e]. Für den Journalisten [sei] hier mehr ‚drin‘, zumal die Gewerkschaften bei solchen Gelegenheiten außerordentlich publizitätsfreudig [seien]. Die Folge: Die Gewerkschaft steh[e] öfter ‚in der Zeitung‘ als die Arbeitgeber.“ Deshalb seien die Verbandsmitglieder häufig unzufrieden mit der Arbeit des Arbeitgeberverbands.
Der Arbeitgeberverband kam zu der Überzeugung, dass die öffentliche Meinung von den Arbeitgebern gepflegt werden müsse. „Die Rentabilität dieser Arbeit [lasse] sich natürlich nicht mit dem Rechenstift auf Heller und Pfennig berechnen. Die Meinung aber, die die breite Öffentlichkeit vom Unternehmer als Stand, aber auch vom Unternehmer als Einzelpersönlichkeit [habe], [sei] ein Kapital, das in Zeiten gesellschaftspolitischer Unsicherheit, [wie es nach Ansicht des Arbeitgeberverbands 1963 existierte] niemals zu groß sein kann.“2
Insgesamt sei es für die Arbeitgeber schwieriger als für die Gewerkschaften ein positives Bild an der Öffentlichkeit abzugeben. „Schließlich [umfasse] das Unternehmer-Bild der breiten Öffentlichkeit auch den Glauben, daß Unternehmer immer genau wüssten, was sie wollten, daß sie unter allen Umständen einen Überblick über alle Möglichkeiten der Wirtschaft hätten – mit anderen Worten, psychologisch [spiele] der Unternehmer irgendwie die Rolle des Vaters, der alles [wisse] und alles [könne].“ Im Arbeitskampf hätte dieses Bild gelitten, sei in eine unternehmerfeindliche Stimmung umgeschlagen. Dies vor allem wegen der geschickten Taktik von IGM-Bezirksleiters Willi Bleicher, der nach Ansicht des Unternehmerverbands die Tarifverhandlungen deshalb so schnell zum Scheitern gebracht habe, damit er mit einem unversöhnlichen 0-Prozent-Angebot der Arbeitgeberseite in den Arbeitskampf gehen konnte.3
Publizistischer Arbeitskampf
Bereits im Vorfeld habe der Arbeitgeberverband Kontakt zu Journalisten gesucht und habe diese in vertraulichen Gesprächen mit der jeweiligen „tarifpolitischen Situation“ vertraut gemacht. „Durch diese Zusammenkünfte wurde zwischen Unternehmern, der Hauptgeschäftsstelle und den Journalisten [bereits 1962] ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das später, als die Kampfsituation da war, seine Früchte trug.“4
Grundsätzlich ab galt für die Arbeitgeberseite: „Verhandlungen gehen vor Publizität“. „Als der Arbeitskampf in seiner ganzen Breite ausgebrochen war, wurde die Aussperrung in der Öffentlichkeit“ trotz der „Agitation der Gewerkschaften“, Aussperrung sei unmoralisch, „weitaus ruhiger aufgenommen als erwartet worden war.“5
Mit einer Arbeitgeberpublikation „Das Wichtigste“ in einer Auflage von 80.000 bis 100.000 Stück sollten Arbeiter und Angestellte in den Metallbetrieben über wirtschafts- und sozialpolitische Fragen unterrichtet werden. Werbeagenturen wurden beauftragt in einem Wettbewerb eine Zeitungsanzeige, ein Flugblatt und einen Mitarbeiterbrief zu einschlägigen Arbeitskampfthemen zu gestalten.6
Das Divo-Institut führte für die Arbeitgeber eine Meinungsbefragung durch. „Die Befragungs-Ergebnisse [hätten], soweit sie der IG Metall bekannt geworden [seien], ihren Eindruck nicht verfehlt und eine Reihe von Äußerungen von führenden Gewerkschaftsfunktionären ließ erkennen, daß ihnen diese ‚Röntgenisierung‘ der öffentlichen Meinung sehr ungelegen kam“.
Die Ergebnisse der Meinungsbefragung wurden der Presse zugänglich gemacht und hätten in der Öffentlichkeit, „wie vielfach festgestellt werden konnte“, großes Aufsehen erregt. „Darüber hinaus fanden sie auch bei der Anzeigenaktion des Verbandes Verwendung.“7
„Kein Lohnstopp – sondern Preisstopp“
Leider könne die Öffentliche Meinung nach Meinung der Arbeitgeber erst dann für ein bestimmtes Problem aktiviert werden, wenn es „zu brennen beginn[e].“ Die Divo-Untersuchung habe auch ergeben, dass die Öffentlichkeit vor allem an „stabilen Preisen“ und nicht an „fragwürdigen Lohnerhöhungen interessiert“ sei. Das hätten auch die erfahrenen „alten Gewerkschafter“ so gesehen, die mit dem Slogan „ kein Lohnstop- sondern Preisstop“ für die Tariferhöhung warben.8
Ungünstig für die Arbeitgeber im publizistischen Arbeitskampf war auch, dass das aktuelle Streik- und Aussperrungsgeschehen „den Lokalreportern willkommene Gelegenheit zu zahlreichen Reportagen, Interviews“ bot, in denen sie oftmals das „unverdiente Schicksal der ausgesperrten Nichtorganisierten mit einem… Druck auf die Tränendrüsen zu schildern suchten“.9
Der Arbeitgeberverband war überzeugt, es gebe eine latent vorhandene Aversion gegen die Arbeitgeber, vor allem wenn die Unternehmer unentschlossen seien. Unternehmer stünden aber gut da, wenn sie ihre Entschlossenheit in einer guten Verpackung verkauften.
Die Tarifverhandlungen der Zukunft könnten immer weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Unternehmertaktik müsse deshalb auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen.10
„Daß in gewissen Phasen einer Lohnauseinandersetzung Maßnahmen der Unternehmer unter Umständen sogar allein im Hinblick auf die öffentliche Meinung getroffen werden müssen, [habe] der Arbeitskampf des Jahres 1963 zu Genüge gezeigt.“11
Diese Einsichten machten während der Lohnauseinandersetzung 28 Pressekonferenzen des Arbeitgeberverbands notwendig. Es gab täglich Presse-Kaffees. Wichtig sei vor allem: „Die Journalisten müssen wissen, daß sie täglich zu einer bestimmten Zeit über die Vorgänge der letzten 24 Stunden informiert werden und sich so zeitraubende eigene Recherchen ersparen bzw. nichts versäumen, wenn sie nicht überall gleichzeitig sind.“12
Ebenso müsse immer ein anderer Unternehmer eines bestreikten Betriebes bei den Pressekonferenzen anwesend sein, denn „jeder Unternehmer, der über die Lage seines Betriebes berichtet oder zu besonderen Vorkommnissen Stellung nimmt, gibt den Journalisten Gelegenheit zu umfassenderer Information, zu einem ‚Unternehmer-Gespräch‘.“13
„Nicht der Arbeitskampf als solcher, sondern das Drum und Dran mit Presse, Fernsehen usw. nimmt einen her.“
Der stellvertretende Vorsitzende von Gesamtmetall Dr. Hanns Martin Schleyer äußerte während des Arbeitskampfs in diesem Zusammenhang sogar: „Nicht der Arbeitskampf als solcher, sondern das Drum und Dran mit Presse, Fernsehen usw. nimmt einen her.“. Für den Arbeitgeberverband und die Verbandsfunktionäre bedeutete die, „im Ernstfall müssen die führenden Herren der Unternehmerschaft damit rechnen, ein Viertel bis die Hälfte ihrer Zeit Presse, Fernsehen, dem Hörfunk usw. widmen zu müssen.“14
Wichtig war ganz besonders der Kontakt zu den Illustrierten und der sog. Massenpresse. Deren Niveau es einigen Unternehmern angeblich schwer machte, „ sich persönlich für photographische Aufnahmen zur Verfügung zu stellen.“ Vorbildlich sei hier der Gesamtmetall-Vorstand gewesen, der sich „bereitwillig der Kamera des ‚Quick‘-Reporters stellte.“
„In diesem Zusammenhang [müsse] als Beispiel die Hamburger ‚Bild-Zeitung‘ erwähnt werden, die bereits in der Tarifauseinandersetzung 1961/62, noch mehr im Arbeitskampf 1963 durch ihre Berichterstattung auf breite Schichten der Arbeitnehmer einen mäßigenden Einfluß ausübte – sehr zum Ärger der Gewerkschaft, wie aus deren ‚Streiknachrichten‘ deutlich hervorging.“15
Die einzelnen Anzeigen sollte „die Überlegenheit“, das „Über-den-Dingen-Stehen“ der Arbeitgeber indirekt zum Ausdruck bringen. So wurde am 30. März in allen Tageszeitungen des Landes eine Anzeige: „Bleiben wir doch alle vernünftig“ geschaltete, die auf die veränderte wirtschaftliche Lage hinweisen sollte. „Zuerst: Gemeinsam prüfen und überlegen, dann erst: Entschlüsse fassen.“ Blickfang war ein Männerkopf mit Brille, was wohl damals ein Zeichen für besonnenes Überlegen darstellte. Ein weiteres Motto war am 17. April 1963 „Tatsachen statt Illusionen“.16
Im Vorfeld schalteten die Arbeitgeber Anzeigen, die eine Drittelseite in Anspruch nahmen. Mit dem Streikausbruch änderte sich dies. „Daher wurden am 29. April im Sportteil der Blätter ganzseitige Anzeigen platziert, deren Tenor lautete: ‚Wollen wir das wirklich? Nein! Dieser Streik ist Wahnsinn“. Zur Aussperrung am 1. bzw. 2. Mai argumentierten die Arbeitgeber unter dem Slogan: „Aussperrung – Hart aber unvermeidlich.“ Vorbereitet hatte man für einen länger andauernden Arbeitskampf eine Anzeige unter dem Motto: „Wer weiterhin bei der Zerstörung der deutschen Wirtschaft mitmacht, begeht Selbstmord. Die Unternehmer sind jederzeit zu fairen Verhandlungen bereit.“17
Der Arbeitgeberverband war im Nachhinein von der Wirkung seiner Pressearbeit überzeugt und verwies dabei auf Erklärungen des IG Metall-Vorstandsmitglieds Alois Wöhrle, der auf einer Pressekonferenz am 7. Mai 1963 in Düsseldorf erklärt habe: „In den letzten Tagen hatte man auf Grund von Presse, Rundfunk und Fernsehen den Eindruck, dass der Streik in Württemberg-Baden ein Weltuntergang sei, der die Existenzgrundlage unseres Volkes gefährde.“ Für Wöhrle war dies angeblich eine Folge der Pressearbeit des Arbeitgeberverbandes. „Auf der Bezirkskonferenz der IG Metall in Essen beschwerte er sich…daß die Lohnforderungen der IG Metall einen konzentrischen Angriff der öffentlichen Meinung gegen die gewerkschaftliche Tarifpolitik überhaupt ausgelöst habe. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung müsse sich Gedanken darüber machen, wie man künftig solch einer offensichtlich gesteuerten Panikmache entgegenwirken könne.“18
Der Arbeitgeberverband beendete seine Betrachtungen zum publizistischen Arbeitskampf: „ Die Öffentlichkeit weiß jetzt – und das sollte ihr in Zukunft immer wieder mit allen Mitteln ins Gedächtnis gerufen werden, daß Urabstimmung der Gewerkschaft zwangsläufig Streik bedeutet, Streik zwangsläufig Aussperrung bedeutet, vor allem aber, daß Schuld immer der hat, der anfängt…“19
Die Gunst der Öffentlichkeit neige sich nach Ansicht des Arbeitgeberverbands immer dem Stärkeren zu, und bei diesem Arbeitskampf sahen sich die Arbeitgeber als die Stärkeren.
- StAVS 4.9-691, Verband Württ.- Badischer Metallindustrieller e. V. Stuttgart: Der Arbeitskampf in der Metallindustrie Württemberg-Badens im Frühjahr 1963. Ein publizistischer Erfahrungsbericht. [↩]
- a.a.O. S. 25 [↩]
- a.a.O. 5 [↩]
- a.a.O. S.1 [↩]
- a.a.O. S. 2 [↩]
- a.a.O. S. 2 [↩]
- a.a.O. S. 3 [↩]
- a.a.O. S.4 [↩]
- a.a.O. S. 7 [↩]
- a.a.O. S.8 [↩]
- a.a.O. S.8 [↩]
- a.a.O. S.10 [↩]
- a.a.O. S. 10 [↩]
- a.a.O. S. 11 [↩]
- a.a.O. S. 12 [↩]
- a.a.O. S. 13 [↩]
- a.a.O. S. 14 [↩]
- a.a.O. S. 26 [↩]
- a.a.O. S. 26 [↩]