Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Arbeitskampf 1963: Vorgeschichte

geschrieben am: 29.11.2016 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände

1963 kam es zum ersten Arbeitskampf der Metallindustrie in Nordwürttemberg/ Nordbaden sowie Südwürttemberg-Hohenzollern nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Schwenningen war es der erste Arbeitskampf nach 40 Jahren, nach den Notverordnungen der Weimarer Zeit, der Unterdrückung der Gewerkschaften im Nationalsozialismus, sowie der Besatzungszeit.

Protestkundgebung: Kein Lohnstop - sondern Preisstop!

Bild 1: Protestkundgebung 5. April 1963, “ Kein Lohnstop – sondern Preisstop!“  (Bild: Erich Mayer)

Die Tarifauseinandersetzung,  die 1963 zum Arbeitskampf führte, hatte eine lange Vorgeschichte.

1961 verhandelten die Tarifpartner, nach dem Geschäftsbericht der IG Metall-Verwaltungsstelle Schwenningen, um neue Lohngruppenmerkmale mit dem Ziel die bisherigen Frauenlöhne zu beseitigen, das Absinken der Männerlöhne zu verhindern und  die Nachteile von Rationalisierungsmaßnahmen für Arbeitnehmer aufzufangen.1

Durch Verhandlungen konnten neue Lohngruppenmerkmale erreicht werden, „die eine wesentliche Veränderung der bisherigen Eingruppierung der Arbeiten der gewerblichen Arbeitnehmer“ brachten. Die neuen Bestimmungen führten ab 1. 1. 1962 für  viele Arbeitnehmer aber besonders für die niedrig eingestuften Frauen zu einer höheren Eingruppierung und damit zu höheren Löhnen.2

Zu Beginn des Jahres 1962 kündigten die Arbeitgeber den Lohntarif. Bei Verhandlungen in Baden-Baden boten die Arbeitgeber 1,5 % mehr Lohnerhöhung an. Die Forderung der IG Metall lag bei 10 Prozent, weshalb die IG Metall die Verhandlungen für gescheitert erklärte. Man war zum Arbeitskampf bereit. Am 2. Februar 1962 fanden Urabstimmungen über Arbeitskampfmaßnahmen der IG Metall ab. „Im Ergebnis stimmten in Schwenningen 87,03 % der stimmberechtigten Gewerkschaftsmitglieder mit Ja.

Der drohende Streik konnte durch ein Vermittlungsgespräch „von Ministerpräsident Kiesinger am 8.2.1962 … für die Tarifgebiete Nordwürttemberg-Nordbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern vermieden werden.“3

Ergebnis der Vermittlung waren 6 % mehr Lohn und 3 bis 9 Tage mehr Urlaub für die Beschäftigten.4

Die Arbeitgeber mussten akzeptieren, dass Betriebszugehörigkeit und Lebensalter die Berechnungsgrundlage für die Urlaubsansprüche darstellten. Außerdem trat die bereits 1961 ausgehandelte Anhebung des Lohnschlüssels für die unteren 4 Lohngruppen in Kraft, „die sich [nach Ansicht der Arbeitgeber] besonders bei den frauenlohnintensiven Betrieben, also  vor allem bei den Unternehmen der feinmechanischen Industrie und der Uhrenindustrie kostensteigernd auswirkte.“5

Im Frühjahr 1963 entgegneten die Arbeitgeber der Gewerkschaftsforderung nach 8 Prozent Lohnerhöhung mit der Forderung nach einem Lohnstopp.6

Protestkundgebung in Schwenningen vom 4. April 1963 mit Eugen Loderer

Abb. 2 DGB-Vorsitzender Eugen Loderer auf der Protestkundgebung in Schwenningen (Bild: Erich Mayer)

Am 5. April 1963 kam es zu einer ersten Protest-Kundgebung auf dem Schwenninger Marktplatz mit Eugen Loderer7

1000 Beschäftigte kamen zur Protestkundgebung

Abb. 2   1000 Beschäftigte kamen zur Protestkundgebung (Bild: Erich Mayer)

als Redner, an der mehr als 1000 Beschäftigte der Schwenninger metallverarbeitenden Industrie teilnahmen.8   Die Gewerkschaften würden der Forderung nach einem fünfmonatigen Lohnstopp nicht entgegenkommen! Loderer warf den Unternehmern eine Verschleppungstaktik vor, „obwohl die Auftrags- und Ertragslage in der Metallindustrie nach wie vor gut sei“ Eugen Loderer,  immer wieder von Beifall unterbrochen, fragte, „ob das der neue Stil der Metallindustrie sei… An die Adresse der Metallunternehmer richtete er die Frage, ob man weiter mit den Arbeitern so umspringen wolle wie in den letzten Wochen. Denn es seien die gleichen Arbeiter, die 1945 geholfen hätten, die Betriebe der Unternehmer vor dem Besatzungszugriff zu retten“. Die Maßlosigkeit derer, die Maßhalten propagierten, werde immer größer, so Eugen Loderer. „Scharfe Angriffe richtete der Redner auch gegen den Baden-Württembergischen Wirtschaftsminister Dr. Leuze, der sich, wie Eugen Loderer sagte, bemüßigt fühle, den Arbeitern zu empfehlen, doch mit dem zufrieden zu sein, was sie haben. ‚Wo war Der. Leuze als es in den vergangenen Jahren darum ging, gegen die Kapitalanhäufung bei den Unternehmen zu protestieren?‘ Was die Gesamtmetallgewerkschaft wolle, sei nicht mehr und nicht weniger als ein gerechter Ausgleich und eine sinnvolle Beteiligung am Ganzen. ’Warum sollen wir als Arbeiter nicht den höchstmöglichsten Preis für unsere Arbeitskraft fordern, wie es die  Metallindustrie mit ihren Erzeugnissen tut? ‘.“

Erich Mayer, der Bezirkssekretär der IG Metall-Verwaltungsstelle Schwenningen, beschloss die Versammlung mit den Worten „Wenn die Metallindustrie Kampf will, dann soll sie ihn bekommen“.9

Die Forderung nach einem „Lohnstopp“ kam bei den Beschäftigten der Schwenninger Metallindustrie nicht gut an. Weshalb der Verband der deutschen Uhrenindustrie in der Presse versuchte, den Eindruck, der durch diese unversöhnliche Forderung  bei der Bevölkerung entstanden war,  zu revidieren und in einem Leserbrief Verständnis für die Arbeitgeberseite zu wecken.

„Vielleicht ist es in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt, daß maßgebliche Unternehmungen in Schwenningen im Jahre 1962 ihre gesamten Aufwendungen an Löhnen und Gehältern um zwischen 19 und 21 % erhöhten. Ursache für diese außerordentliche Zunahme der Personalkosten [seien] die von den Gewerkschaften geforderte und von der Arbeitgebern bewilligte Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, Urlaubsverlängerung und Verbesserung des  Manteltarifvertrages zu Beginn des Jahres 1962 [gewesen]. Wenn man weiter weiß, daß die Personalaufwendungen in den lohnintensiven Betrieben unserer Stadt bis zu 50 % des Umsatzes erreichen, so kann man sich ausmalen, wie schwer es für viele Betriebe geworden ist, mit der Konkurrenz des Auslandes Schritt zu halten. Wir fordern gar keinen Lohnstop, wie die IG Metall behauptet, aber es ist doch verständlich, daß wir eine Verschnaufpause von einigen Monaten anstreben.“  Einige Uhrenfabriken  müssten 50 % ihrer  Produktion im Ausland absetzen, und seien durch die gestiegenen Personalkosten einem immer stärker werdenden Preisdruck ausgesetzt, was bereits jetzt zu einem fühlbaren Rückgang der Exporte geführt habe.

Durch ihre Pressemitteilung versuchte der Verband der deutschen Uhrenindustrie auch den Eindruck zu revidieren, der in der Öffentlichkeit deshalb entstanden war, weil die Arbeitgeber auf die Schreiben der IG Metall eine Antwort schuldig geblieben waren. Der Brief der Arbeitgeber, so der Verband der deutschen Uhrenindustrie,  bei dem es um Termine für weitere Verhandlungen gegangen sei, sei „unglücklicherweise bei der Post verloren“ gegangen, weshalb man die Verstimmung der IG Metall in diesem Zusammenhang verstehen könne.10

Die Verwaltungsstelle der IG Metall in Schwenningen antwortete daraufhin in der Presse, dass die IG Metall das Lohnabkommen vom 17. Februar 1962 bereits am 27. Februar 1963 gekündigt habe verbunden mit einer 8 prozentigen neuen Lohnforderung und der Forderung nach Verhandlungen bis zum 5. März 1963. Auf dieses Schreiben hätten die Arbeitgeber aber nicht reagiert, weshalb die Arbeitgeber am 22. März erneut angeschrieben worden seien. Erst am 1. April sei einen Antwort der Arbeitgeber gekommen, die IG Metall solle sich mit Gesamtmetall wegen eines Termins in Verbindung setzen. Im Übrigen hätten die Metallindustriellen „in den Verhandlungen für das Tarifgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden am 28. März 1963 in Stuttgart eine unbefristete Lohnpause, also einen Lohnstop gefordert.“11

Am 16.4.1963 wurden von Gesamtmetall 3,5 Prozent Lohnerhöhung für 1963 angeboten. Die IG Metall lehnte diesen Vorschlag ab.12

In einem Rundfunkinterview erklärte der IGM-Vorsitzende Otto Brenner, nachdem die Arbeitgeber die Gewerkschaftsforderungen entschieden abgelehnt hatten, die IG Metall „sei entschlossen ihre Forderungen mit Hilfe eines Streiks durchzusetzen.“

In der in Köln erscheinenden „Rundschau am Sonntag“ äußerte sich Bundesarbeitsminister Blank „Lohnerhöhungen von 8 Prozent [seien] nicht tragbar.“ „Die Bundesregierung habe immer die Auffassung vertreten, daß sich im Interesse einer Politik der Geldwertstabilität die Lohnerhöhung jeweils nach der Zuwachsrate der wirtschaftlichen Leistung richten sollte. In diesem Jahr etwa sei eine Produktivitätserhöhung von vier Prozent zu erwarten. Daher seien Lohnerhöhungen von acht Prozent mit der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht zu vereinbaren, und alles, was über den Satz von etwa vier Prozent hinausgehe, trage zur Geldentwertung bei. Viele verantwortlich denkende Gewerkschaftsvorsitzende wüßten das ebenfalls, aber es sei nicht einfach, ihren Mitgliedern klarzumachen, daß nun auch in der Lohnpolitik das Gesetz des ‚langsamer Tretens‘ vorherrschen müsse. Blank gab zu, daß die Tarifauseinandersetzungen hart sein werden, lehnte aber entschieden die Einschränkung der Tarifautonomie der Sozialpartner durch ein Gesetz staatlicher Schlichtung ab. Dadurch würde den Unternehmerverbänden und Gewerkschaften nur die Verantwortung, sich in einem volkswirtschaftlich tragbaren Rahmen zu einigen, abgenommen werden. Die radikalen Kräfte auf beiden Seiten wären nur zu gern bereit, die ganze Verantwortung auf den Staat abzuladen und auf diesen Dritten zu schimpfen, der es naturgemäß keinem der beiden Fordernden recht machen könnte.“13  

Diese Ministerbemerkungen wären aus Sicht der IG Metall besser unterblieben. Die Empfehlungen Blanks wurden natürlich als Eingriff der Bundesregierung in die Tarifautonomie angesehen.

  1. Ortsverwaltung Schwenningen a. Neckar: IGM Geschäftsbericht 1961/62, S. 12 []
  2. a.a.O. S.13 []
  3. StAVS 4.9-691der Verband der Metallindustrie von Württemberg-Hohenzollern e.V.: Arbeitskampf in der Metallindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern im Frühjahr 1963 []
  4. Ortsverwaltung Schwenningen a. Neckar: IGM Geschäftsbericht 1961/62A.a.O. S. 20 []
  5. StAVS 4.9-691der Verband der Metallindustrie von Württemberg-Hohenzollern e.V.: Arbeitskampf in der Metallindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern im Frühjahr 1963 []
  6. Ortsverwaltung Schwenningen a. Neckar: IGM Geschäftsbericht 1963/64/65, S. 5 []
  7. Damals DGB-Landesvorsitzender []
  8. der Schwarzwälder Bote vom 5. April 1963 berichtete von 3000 Teilnehmern. []
  9. StAVS Chronik 799, Arbeitskampf 1963, NQ v 5.4.1963 []
  10. StAVS Chronik 799, Arbeitskampf 1963, NQ v. 6.4.1963 „Wir fordern gar keinen Lohnstop“ []
  11. A.a.O. NQ v. 6.4.1963“Industrie könnte Forderung erfüllen“. []
  12. StAVS 4.9-691  Verband der Metallindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern e.V.: Arbeitskampf in der Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern im Frühjahr 1963. S. 2 []
  13. StAVS 4.9-691 Verband der Metallindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern e.V.: Arbeitskampf in der Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern im Frühjahr 1963, S.2 []

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