Thomson plant Massenentlassungen
Im April 1986 wurde bekannt, dass der Thomson-Konzern 20 bis 25 Prozent seiner Belegschaft in Frankreich, der Bundesrepublik und in Spanien abbauen wolle. Die Fertigung sollte zentralisiert werden, aber auch bei den Vertriebsfirmen waren Entlassungen vorgesehen. (( Schwabo 22.4.1986 Thomson plant Personalabbau, Schwabo 2.4.1986. Thomson-Brandt plant Massenentlassungen. Auch Standorte in Villingen und St. Georgen betroffen/ Größenordnungen noch unbekannt. Die Firma gab Standortgarantie nur für das Jahr 1986. „Ein Viertel der Belegschaft muß mit Kündigung rechnen“.))
Die Belegschaften in Villingen waren beunruhigt (( SWP 3.4.1985 Gestern 90minütige Betriebsversammlung. Belegschaft weiß nichts Konkretes. Von der Geschäftsleitung war nicht neues zu erfahren. „Die Belegschaft der Schwarzwälder Thomson-Filialen ist begreiflicherweise in hellem Aufruhr! Die Nachricht aus Paris, daß der Konzern in Deutschland rund 1200 Arbeitsplätze wegrationalisieren wird, hat vornehmlich die Beschäftigten der DEWEK … aufs Äußerste beunruhigt.“ Es gibt keine deutlichen Informationen. Bei der Belegschaftsversammlung Kampfparolen: „Wer Vertrauen verlangt, will betrügen“, „2000 Arbeitsplätze sind schon vernichtet.“)) . In der außerordentlichen Betriebsversammlung für die 1300 Mitarbeiter bei DEWEK wurden keine Details bekannt gegeben. Alles Wesentliche hatten die Mitarbeiter aus der Zeitung beim Frühstück erfahren. In der Pressemitteilung des Unternehmens stand: „Das Unternehmen ist sich der sozialen Verantwortung bewußt … Für die Mitarbeiter, die gekündigt werden, soll eine ‚menschenfreundliche Lösung‘ gefunden werden. ‚Eine auf dem Verhandlungsweg festzulegende, alternative Beschäftigungspolitik wird sicherstellen, daß die Mitarbeiter durch präventive Qualifizierung für eine neue Arbeit innerhalb und außerhalb der Unternehmen bestens vorbereitet werden. Unter Berücksichtigung der lokalen Arbeitsmarktlagen soll der Versuch unternommen werden, einen unmittelbaren Übergang zu einer neuen Beschäftigung zu ermöglichen“ (( Schwabo 3.4.1986 Belegschaft von Saba und Dewek geschockt. Gestern außerordentliche Betriebsversammlung/ Betriebsrat wußte von nichts.)) .
„ Zu viele Fabriken, zu viele Leute und zu viele Modellpaletten!“
Der Chef des „Elektronikgiganten“ Alain Gomez begründete die Maßnahmen lapidar: „ Zu viele Fabriken, zu viele Leute und zu viele Modellpaletten“. Sicher schienen nur noch die 320 Arbeitsplätze im Villinger Forschungslabor. Die ganze Branche steckte (immer noch oder schon wieder) in der Krise, auch Grundig wollte seine 25 000 Beschäftigten auf 18 000 reduzieren. (( A.a.O. Eberhard Stadler, Noch viele Versammlungen.)) In Villingen war man empört (( Schwabo 9.4.1986 IHK attackiert Thomson. Vom Teufel geritten? Dagfu-Sprecher wirbt um Verständnis für die Pläne. „Der IHK-Präsident hält es (Alfred Liebetrau) für schlimm, daß die einzelnen Mitarbeiter noch immer nicht wissen, ob sie nun entlassen werden oder nicht‘. Es sei schon bedauerlich, daß von der Konzernspitze ‚ein solcher Stil gepflegt‘ werde. .. Den vom Konzern selbst als ‚Juwele‘ bezeichneten Marken Saba und Dual werde durch die auch bei Handel und Konsumenten verbreitete Unsicherheit‘ schwerer Schaden zugefügt: ‚Da hört’s Verstehen auf.‘ … Positiv beurteilt die Kammer – natürlich- die Versprechen der Landesregierung, sich um Ersatzarbeitsplätze zu bemühen.“ Der Dagfu-Sprecher Jens Oberheide: „Es hätte für die in Villingen und St. Georgen Beschäftigten noch weitaus schlimmer kommen können. Die Rationalisierungslasten würden auf alle bundedeutschen Töchter gleichmäßig verteilt… Und in anderen Ländern baue Thomson ebenfalls Personal ab: 1350 Entlassungen stünden in Spanien an, 555 weitere bei der Thomson-Produktionsstätte im französischen Angers.“ „Oberheide ‚Es gab in Frankreich schon starke Stimmen, die die deutsche Produktion nach dort holen wollten‘.“)) . Am 9. April wussten die Mitarbeiter immer noch nicht, was werden sollte (( Schwabo 9.4.1886, Saba weiter im Ungewissen. Gestern Betriebsversammlung/ Geschäftsführer vorgestellt. In der Betriebsversammlung v. 8.4.1986 stellte sich Heinz de Cout, der neue Sabageschäftsführer, vor. Auf Fragen der Belegschaft konnte er keine Antwort geben. Couet sei nur vorübergehend Geschäftsführer. Nachfolger Alexander Lentze.)) .
Die Gespräche mit der IG Metall wurden abgebrochen. Ihr Sprecher Schirmer äußerte: „Wir hatten das Gefühl, für die Thomson-Leute handelte es sich hier nur um Alibi-Gespräche.“… „ Für den Gewerkschaftler gibt es nach den Gesprächen am Freitag nur eine, wenn auch bittere Erkenntnis: ‚Rechtverbindliche Vereinbarungen zur Bewältigung der anstehenden Strukturmaßnahmen können nach Lage der Dinge nur mit den Betriebsräten der betroffenen Werke auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes geregelt werden‘.“ Die Forderungen der Gewerkschaft nach Produktdiversifizierung und nach einer Vorruhestandsregelung wurden von Thomson abgelehnt (( SK 19.4.1986 Gespräche sind geplatzt. IG Metall bricht Verhandlungen mit Thomson-Spitze ab.)) .
Salamitaktik
Der Südkurier kommentierte die Geschäftspolitik des Unternehmens (( SK 19.4.1986 Katze aus dem Sack)) : „Die Salamitaktik gehört seit vielen Jahren zu den unternehmerischen Strategien von Thomson [sowie] dem Stil des Hauses angepaßte …wachsweiche Erklärungen, die genauso verschachtelt sind wie die Firmenkonstruktionen innerhalb des Konzerns. Daß die Verantwortlichen damit ein makabres wie skandalöses Spielchen gleichzeitig treiben, scheint sie kaum zu stören…. Aber wen wundert das bei einem Konzernboß, der auch öffentlich noch prahlt:’ Das Image des Jobkillers gehört bei meinem Job dazu‘.“
Im Dezember 1987 zog Thomson die ersten Bestückungsanlagen und Maschinen aus Villingen ab. (( Schwabo 10.12.1987 Tod auf Raten-Thomson zieht Maschinen ab. IG-Metall befürchtet Abbau von 120 Arbeitsplätzen. Schwabo 28.1.1988. Vom stolzen Unternehmen zum Aushängeschild.))
Ende Januar wurden die Pläne öffentlich. Die Chassis-Produktion sollte vollständig von Villingen nach Celle verlegt werden. Grund sei der enorme „Konkurrenz- und Kostendruck“. Guillemin (Thomson) wörtlich: „Entweder wir gehen mit den Chassis nach Fernost oder wir bemühen uns, das so hinzukriegen, daß wir es weiterhin in Europa machen können.“ (( SWP 28.1.1988 Jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch/ Über 500 Thomson-Werker sollen gehen. Für sie wird es einen Sozialplan geben/ Pressekonferenz.)) Im Gegenzug wollte man die Leiterplattenproduktion in Villingen verdoppeln und die Produktion von „neuen, hochspezialisierten Produkten“ in Villingen konzentrieren. Diese Umstrukturierungsmaßnahmen würden die Belegschaft von jetzt 1170 Mitarbeitern bis Ende des Jahres auf 765 reduzieren und bis Ende 1989 würde es dann nur noch 580 EWD-Mitarbeiter in Villingen geben. Für die zu entlassenden Mitarbeiter würde ein Sozialplan ausgehandelt. ((Pläne für EWD präzisiert. (BZ 28.1.1988) Villingen hat künftig nur noch Zulieferfunktion und verliert 590 Arbeitsplätze. Chassisproduktion nächstes Jahr ganz weg- Sozialplan für Entlassene.)) Lehrlinge könnten die Ausbildung beenden, der Konzern sei sich seiner sozialen Verantwortung bewusst.
Thomson-Geschäftsführung ist wortbrüchig
Nach Ansicht der IG Metall war die Geschäftsführung wortbrüchig, schließlich habe man 1986 vereinbart, die Chassisproduktion bis Ende 1988 in Villingen zulassen und nun sollte sie nach Celle verlegt werden.
Die IG Metall bezweifelte, dass eine Leiterplattenproduktion in Villingen auf Dauer, wie das die Thomson-Pläne vorsahen, den internationalen Wettbewerb aushalten könnte. Man also auch auf diesem Sektor mit weiteren Entlassungen rechnen müsse. (( A.a.O.)) Der CDU-Landtagsabgeordnete Teufel versicherte, das Land werde die Betroffenen nicht allein lassen. Allerdings dürfe man in der aktuell schlechten Wirtschaftslage „keine Wunderdinge erwarten“. Die CDU-Fraktion stellte einen Antrag an die Landesregierung, in dem sie Informationen über das Entlassungskonzept von Thomson forderte und nachfragte, „was von Seiten der Landesregierung unternommen worden ist, die Arbeitsplätze bei Thomson in Villingen zu erhalten. In Verhandlungen mit dem Konzern [sollte] das Land sicherstellen, daß die von der Entlassung bedrohten Mitarbeiter ‚sozial abgefedert werden‘.“ ((A.a.O.)) Außerdem erwartete man alle Unterstützungsmöglichkeiten für den Standort Villingen-Schwenningen zu bündeln und wollte Informationen darüber „was bislang hinsichtlich der Fachhochschulansiedlung und des geplanten Aufbaues eines Forschungsinstituts für Mikrotechnik in Villingen Schwenningen unternommen wurde.“
Kein politisches sondern ein wirtschaftliches Problem
Insgesamt beeindruckten die Vorschläge der Stuttgarter Politiker die Franzosen aber wenig. „Auf die Frage, was das Land Baden-Württemberg unternommen habe, um den Arbeitsplatzabbau zu mildern, meint [e] Guillemin: ‚Dies ist kein politisches, sondern ein industrielles Problem. Entscheidend sind nur industrielle Parameter‘.“ ((Schwabo 28.1.1988. Thomson kompromißlos: 600 Arbeitsplätze weg EWD: Auch die restlichen578 nicht gesichert))
Die Aussichten für die entlassenen SABA Mitarbeiter einen neuen Arbeitsplatz zu finden, waren schlecht nach Meinung des Arbeitsamts. „Es handle sich hauptsächlich um ungelernte Frauen, darunter die Ausländerinnen, die nicht so ohne weiteres umgeschult oder höherqualifiziert werden könnten. Und für ungelernte Kräfte gebe es dank Uhrenindustrie denkbar wenige freie Arbeitsplätze ‚Für diese Frauen wird die Entlassung in lange Arbeitslosigkeit münden‘.“ Bei Facharbeitern sah die Situation günstiger aus, sie konnten notfalls auch außerhalb von Villingen-Schwenningen einen neuen Arbeitsplatz finden. (( A.a.O. Erste Stimmen zum EWD- Personalabbau. Peter Hauswald, Leiter der Arbeitsvermittlung Villingen-Schwenningen zur Lage.))
In einer Sitzung mit den EWD-Betriebsräten zeigten sich Erwin Teufel und der Wirtschaftsminister Herzog schockiert über die „wechselhafte Konzernpolitik“. Herzog vermutete, daß die Verlagerung nach Celle nur eine Zwischenlösung sei für eine weitere Verlagerung nach Fernost. Das Land habe viel in die Region investiert. Zwischen 1983 und 1987 seien Zuschüsse von 50 Millionen Mark und Darlehen von 120 Millionen Mark in den Schwarzwald-Baar-Kreis geflossen. Diese Gelder hätten immerhin ein Investitionsvolumen von 600 Millionen Mark ausgelöst und rund 3200 Arbeitsplätze geschaffen. (( Schwabo 2.2.1988 EWD: Land gibt nicht auf Celle nur Zwischenlösung?))
Villingen- der rentabelste Standort?
Erwin Teufel war besonders erbost darüber, dass die Produktion von Villingen nach Celle verlegt werde. Thomson habe vor noch gar nicht so langer Zeit selbst eingeräumt, dass Villingen der rentabelste Standort des Konzerns in der Bundesrepublik sei. Keiner verstand die Thomson-Pläne. Schließlich lag der Automationsgrad in Villingen bei 85 Prozent. Befürchtungen wurden geäußert, das über kurz oder lang auch das Forschungslabor zur Disposition stehe. (( Schwabo 4.2.1988„Thomson-Konzern ist das blanke Chaos“ IG-Metall: „ Selbst Anteilseigner schütteln mit dem Kopf.“/ Flächenbrand.))
Betriebsratsvorsitzender Dietmar Steinkamp fand es besonders bedrohlich, „daß mit der Produktion das technische Knowhow von Villingen nach Fernost verschwinde.“ Die Befürchtungen, dass es zu weiteren Entlassungen kommen könnte, teilte auch der Gemeinderat (( A.a.O. Zukunftsangst gestern im Rat)) .