Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Innovationen durch Cluster

geschrieben am: 05.02.2016 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Cluster

Der IHK-Bezirk Schwarzwald-Baar-Heuberg, zu dem in den 70er und 80er Jahren schwerpunktmäßig die Uhrenbranche gehörte, ist immer noch eher ländlich geprägt. Die Unternehmensstruktur ist mittelständisch, vorherrschend sind Familienunternehmen, größere Unternehmen finden sich eher selten.
Die größten Städte im IHK-Bezirk Schwarzwald-Baar-Heuberg waren 2012 Villingen-Schwenningen (81.022 Ew.), Tuttlingen (34.282 Ew.), Rottweil (25.659 Ew.), Schramberg (21.242 Ew.) und Donaueschingen (21.128 Ew.). Die Region hat folgende Hochschuleinrichtungen: die Furtwangen University, die Staatliche Musikhochschule Trossingen, die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen und die international Business School Tuttlingen. Außerdem gibt es an wichtigen Forschungs- und Transfereinrichtungen: das Institut für Mikroelektronik und Informationstechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft e.V., die MedicalMountains AG, das Kunststoffinstitut Südwest GmbH & Co. KG sowie die MicroMountains Applications AG.1

Die Unternehmen der Region sind erfolgreich.

„Seit dem Jahr 2005 liegt die Umsatzentwicklung der Unternehmen im IHK-Bezirk sogar leicht über dem baden-württembergischen Durchschnitt“. Zwischen 1998 und 2008 konnten die Unternehmen ihre Umsätze um rund 60% steigern, ihre Wettbewerbsfähigkeit ist nach Ansicht einer Untersuchung des Frauenhofer-Instituts national wie international außerordentlich hoch.2 Die wirtschaftliche Dynamik der Region zeigt sich auch in einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote (unter 4 Prozent).
Das war nicht immer so. Nach dem Zusammenbruch der Uhrenindustrie sanken in Villingen-Schwenningen die Einwohnerzahlen3 , die Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe nahmen ab.
Die Konkurrenz aus Fernost, hohe Löhne und eine hohe Beschäftigungsintensität der Produkte, zu später Umstieg auf den Werkstoff Kunststoff und die Quarztechnologie im Vergleich zu den internationalen Wettbewerbern leiteten den Niedergang der beherrschenden Uhrenindustrie ein.
Kooperation, Konkurrenz und Heimatstolz waren um 1900 die Treiber des innovativen Klimas der Uhrenindustrie in Schwenningen.
Diese Treiber verloren ihre Kraft mit der Weltwirtschaftskrise, in deren Verlauf auch einige Uhrenfabriken in Konkurs gingen. Nach dem zweiten Weltkrieg gerade auch in der Zeit des Wirtschaftswunders konnte die Uhrenindustrie Baden-Württembergs an der allgemeinen Dynamik der Wirtschaft nicht mehr teilnehmen.
1977 hatte die deutsche Uhrenindustrie bereits 35 Prozent weniger Beschäftigte als 1970 und man befürchtete, dass es 1985 70 Prozent weniger Beschäftigte als 1970 sein würden.4 48 Prozent der Beschäftigten konzentrierten sich allein auf Villingen-Schwenningen, einschließlich des Landkreises Rottweil seien es sogar 60 Prozent aller Beschäftigten der Uhrenbranche.5 Die meisten Arbeitsplätze gingen damals im Bereich der Werkefertigung und der Werkemontage verloren.6

Ursache des Uhrendebakels: innerbetriebliche Faktoren

Schuld an dieser Entwicklung waren nach den Ergebnissen der Töpferstudie ein Übergewicht des Produktionsbereiches und eine Schwäche der technischen und kaufmännischen Leitung in den Unternehmen. Für das „Uhrendebakel“ seien vor allem innerbetriebliche Faktoren verantwortlich gewesen. „Kreative Leistungen konnten aufgrund der personellen Mangellage kaum erstellt werden. Das Tagesgeschäft war dominant, das kreative Potential wenig entwickelt“. „Führungsinstrumente, wie etwa eine leistungsfähige Kostenrechnung“ gab es um 1970 kaum.

Anteile der Funktionsbereiche an der Gesamtbeschäftigung in der Uhrenindustrie 1978 (in vH)

FunktionsbereichKleinuhrenandere GroßuhrenWeckerTechnische Uhren
Marketing7,46,32,58,3
Technik4,24,92,18,8
Produktion81,485,791,682.7
Service7,03,13,80,2
Die Daten wurden übernommen aus: Horst Hinz / IGMetall/ Vorstand-Abt Wirtschaft: Uhrenindustrie,Elektronik und Arbeitsplätze. Frankfurt a. M v. 26.9.1978. Der Artikel von Horst Hinz basiert auf Diplom-Volkswirt Peter Töpfer, Planung und Beratung: Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen in der deutschen Uhrenindustrie. ZUsammenfassung wichtiger Ergebnisse. Untersuchung durchgeführt im Rahmen der Fördermaßnahmen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Projekt NT 624.
Ein Unternehmer der Region berichtete der Verfasserin, dass es früher Kleinunternehmen gegeben habe, die kein Wissen über die Kosten Ihres Produktes bzw. ihrer Dienstleistungen hatten und ihre Preise überwiegend ausschließlich an den Preisen der Konkurrenz orientierten.
„Die autoritäre Organisationsstruktur der Unternehmen“ programmierte nach Ansicht der IGMetall den Misserfolg. Es gebe häufig „einen Entscheidungsnotstand“, es würde von Fall zu Fall entschieden. Es gebe eine „starke Tendenz“ „das Erreichte zu sichern und Neues zu unterlassen.“7 Die erheblichen Qualifikationsdefizite „kamen auch in der Dominanz der untersten Lohngruppen mit einem Anteil von 63 Prozent und dem geringen Anteil der oberen Lohngruppen zum Ausdruck“.8
Schon während der Uhrenkrise in den 70er Jahren wurde von den Wirtschaftsexperten Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen als Lösung vorgeschlagen, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Zur wichtigsten Frage wurde: Wie integriere ich moderne Technologien in die alten gewachsenen Industrien? Es gab zahllose mehr oder weniger erfolgreiche Kooperationen, getragen vom Verband der deutschen Uhrenindustrie, unterstützt durch staatliche Fördermaßnahmen, welche aber den Niedergang vieler heimischen Unternehmen nicht aufhalten konnten.
Was blieb, war eine breite Schicht von Menschen, die über feinwerktechnisches Wissen verfügten. Diese Tatsache war schlussendlich die Grundlage für die Weiterentwicklung der regionalen Wirtschaft, die heute immer noch ihren Schwerpunkt im verarbeitenden Gewerbe hat.

Bedeutung der Cluster-Politik

Die baden-württembergische Wirtschaftspolitik versuchte seit den 80er Jahren die Probleme durch den „Ausbau der wirtschaftsnahen Forschungsinfrastruktur“, in Villingen-Schwenningen der Aufbau von Hochschulen und von wirtschaftsnahen Forschungsinstituten zu lösen.
Seit den 90er Jahren wurde Verbundforschung gefördert. Seit 2000 liegt der Schwerpunkt auf der Förderung von Clustern9 und Netzwerken.10
Cluster benötigen gemeinsame Organisationen, die den Austausch zwischen den Unternehmen fördern. Um 1900 waren solche Organisationen der Gewerbeverein, die Gewerbe- und Fachschulen, die Messen. Heute sind dies die Hochschulen (die Hochschule Furtwangen), Forschungsinstitute, die Industrie- und Handelskammer, aber auch die Politik bringt sich über solche Cluster in die regionale Wirtschaft ein.
Die Kooperation der Industrie im Zusammenhang von Clustern ist aktuell wie nie zuvor. Die Politik, egal welcher Couleur, sucht auf diesem Feld ihre wirtschaftliche Kompetenz unter Beweis zu stellen. Baden-Württemberg bringt nahezu jährlich einen neuen Clusteratlas heraus, auch um die Dynamik und die Innovationsfähigkeit seiner Wirtschaft und damit die wirtschaftspolitische Kompetenz der jeweiligen Regierung zu unterstreichen.11
Wesentliches Ziel ist es in einer mittelständischen Wirtschaft mit eher kleineren Betrieben die Wettbewerbsfähigkeit zu stützen, Kooperationen zu Hochschulen und einschlägigen Institutionen herzustellen und damit auch in kleineren Betrieben die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit voranzutreiben, wohl wissend dass der Lebensstandard unserer Region nur gehalten werden kann, wenn die heimische Industrie schneller und innovativer ist als die globalen Wettbewerber.
So gibt es mehrere Cluster in der Region und in der Initiative Technology Mountains macht man sich die Idee zu Nutze, dass Innovationen gerade an den Rändern der Branchencluster, d.h. durch die Verbindung unterschiedlicher Technologien und unterschiedlicher Produktionserfahrungen entstehen12
Clusterinitiativen sind für einige Unternehmen der Region aber auch nicht unproblematisch. Meinungen wie: „Hier geht es schließlich nur um Umverteilungsmaßnahmen“. „Meine Innovationen oder meine Ideen werden dann von anderen ausgebeutet“. „Ich halte solche Initiativen für Zulieferunternehmen, die im Wettbewerb zu anderen Unternehmen der Region stehen, für ungeeignet“. „Da verlasse ich mich doch lieber auf meinen in jahrzehntelange Erfahrung entstandenen Wissenspool im fertigungstechnischen Bereich“. „Weiterentwicklung kommt in meinem Betrieb vor allem dadurch zustande, dass ich versuche Kundenprobleme möglichst gut zu lösen, oder aber projektbezogenen Kooperationen mit eigenen Zulieferern betreibe. Entwicklung entlang der Wertschöpfungskette“. Schließlich sei man als Zulieferer natürlich trotzdem in der Gefahr, dass der Kunde die eigenen Ideen und Pläne an andere weitergebe, die diese dann billiger umsetzten. Da helfe dann nur eine möglichst hohe eigene fertigungstechnische Kompetenz gegenüber den ausländischen Wettbewerbern. Ansichten, die nach den Untersuchungen des Frauenhofer-Instituts viele mittelständische Unternehmen teilen.

Vernetzung und Kooperation fördern Innovationen

Demgegenüber steht die Überlegung der Cluster-Aktivisten, dass gerade Vernetzung und Kooperationen Innovationen fördern „und mehr Umsatz generieren“ würden, als dies in vergleichbaren weniger stark vernetzte Unternehmen der Fall sei. Hier hätten gerade kleinere und mittelständische Unternehmen noch großen Entwicklungsbedarf. „Denn nur wenn es gelingt, die neuesten Produkte schneller als der Wettbewerber auf dem Markt zu etablieren, können Unternehmen den Wohlstand und Arbeitsplätze nachhaltig sichern“, da ist sich der Technology Montains-Geschäftsführer Thomas Wolf sicher.
Uwe Stoll, Leiter technische Federn und Medizintechnik der Kern-Liebers-Gruppe in Schramberg, ist überzeugt: „Wir generieren durch gute Vernetzung und Zusammenarbeit Produkte, die wir allein nie hätten umsetzen können…Ohne ein gewisses Maß an Zusammenarbeit der Unternehmen in der Region wird die Bedeutung des hiesigen Medizintechnik-Clusters nicht zu halten sein … denn dafür schreitet die Entwicklung in allen Bereichen viel zu schnell voran.“13
Aber auch für ein kleines Unternehmen, wie die P. Lambrecht GmbH Co. KG in Villingen-Schwenningen, ist Vernetzung wichtig. „Ansonsten wäre es sehr schwer, technologisch am Ball zu bleiben.“ „Am Anfang habe es durchaus Überwindung gekostet, eigenes Wissen preiszugeben“, so der Geschäftsführer Andreas Lambrecht, „aber man kommt eben nur zusammen wirklich weiter.“14
Wenn heute das schnellere Unternehmen erfolgreicher ist, so ist vermutlich beides notwendig, die Konkurrenz, der Wille besser als der Wettbewerber zu sein auf der einen Seite, aber auch die schnelle und ressourcenschonende Aneignung von neuen Kenntnissen und neuen Technologien zur Entwicklung neuer Produkte und neuer Fertigungstechnik, was eben häufig nur möglich wird durch Kooperationen mit Forschungseinrichtungen und durch enge Zusammenarbeit mit Kunden und Zulieferern.
Im Gegensatz zu Tuttlingen, wo es das traditionelle Medizincluster15 geschafft hat, die wirtschaftlichen Wechsellagen zu überdauern und nach wie vor sich durch hohe Innovationsfähigkeit auszeichnet, hat die Uhrenindustrie aber auch die Unterhaltungsindustrie bzw. Elektroindustrie der Region, dies nicht geschafft.
Trotzdem ist die ehemalige Uhrenregion heute nach den Jahren des Strukturwandels zwischen 1973 und 1995 wieder erfolgreich. Neue Branchen wurden nach der Uhrenindustrie entdeckt, es gelang die in der Bevölkerung vorhandenen feinwerktechnischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und zu nutzen. Neue Betriebe wurden gegründet, alte Betriebe änderten ihre Produkte und ihre Produktionstechnik. Es gelang mit den Instituten und der Fachhochschule Forschung und Entwicklung in der Region zu etablieren.

Ich möchte Herrn Thomas Wolf von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg für seine Unterstützung meiner Überlegungen durch ein langes Gespräch und durch Materialien zum Thema herzlich danken. 

  1. Elisabeth Baier, Esther Schricke, Thomas Stahlecker, Oliver Rothengatter: Quantitative Analyse regionaler Branchen- und Technologiestrukturen in Baden- Württemberg. Regionalstudie Schwarzwald-Baar-Heuberg. Studie im Auftrag des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages. Karlsruhe 2012, S. 1 []
  2. a.a.O. S. 7 []
  3. Villingen-Schwenningen verlor zwischen 1975 und 1984 5 % seiner Einwohner. Südkurier v. 19.10.1985, In zehn Jahren verschwand eine ganze Kleinstadt. Die Region hat seit 1974 rund 13 000 Einwohner verloren- Noch kein Ende der Abwanderung? []
  4. Horst Hinz/ IGMetall/ Vorstand-Abt. Wirtschaft, Uhrenindustrie: Elektronik und Arbeitsplätze. Frankfurt 26.9.1978. Hinz bewertet die Ergebnisse der Töpferstudie: Vgl. Töpfer: Ein Überblick über einige Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen im Bereich der Kleinuhrenindustrie in der BRD. StAVS 4.9-414 []
  5. a.a.O. S. 5 []
  6. a.a.O. S. 6 []
  7. a.a.O. S. 8 []
  8. a.a.O. S. 9 []
  9. Unter Cluster versteht man grundsätzlich eine Anhäufung von Unternehmen der gleichen Branche an einem Standort. Dabei finden sich Unternehmen vertikal bzw. horizontal entlang der Produktionskette. Cluster reduzieren die Transferkosten. []
  10. Analytische und konzeptionelle Grundlagen zur Clusterpolitik in Baden-Württemberg. Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums des Landes Baden-Württemberg. S. 5/6 []
  11. Analytische und konzeptionelle Grundlagen zur Clusterpolitik in Baden-Württemberg. Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums des Landes Baden-Württemberg. S. 5/6 „In den letzten Jahren hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass für die private Innovationstätigkeit innerhalb einer Region auch die in dieser Region vorhandenen Netzwerkbeziehungen von Bedeutung sind. Regionale Innovationsnetzwerke bestehen dabei nicht nur zwischen privaten Firmen, sondern beziehen vielfach auch öffentliche Einrichtungen mit ein, nicht zuletzt die öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
    Netzwerke sind … ein charakteristisches Merkmal von Clustern. Solche bilden sich in einem Wirtschaftsraum zwischen Unternehmen, die auch miteinander in Wettbewerb stehen können, und
    Einrichtungen im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie weiteren Organisationen, die geeignet sind, die Unternehmen bei der Erreichung gemeinsamer Ziele zu unterstützen. … Daher gelten Cluster in diesem Sinne auch als Motoren der regionalen Entwicklung. Cluster bilden das Ergebnis längerfristiger Entwicklungsprozesse, an denen unterschiedliche Akteure in Netzwerken und Verbünden mitwirken. Solche Cluster kann der Staat zwar nicht verordnen. Er kann jedoch ihre Entwicklung moderierend begleiten, ggf. auch gezielt fördern.“ []
  12. Schaffhauser Nachrichten v. 14.03.2015. Zwei RhyTech-Firmen geehrt. „TechnologyMountains ist ein sogenanntes Innovationscluster, in dessen Rahmen annähernd 140 Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen eng vernetzt zusammenarbeiten. Das Schwergewicht des Technologieverbundes liegt dabei auf den Bereichen Mikrotechnologie, Metall- und Kunststoffverarbeitung sowie Werkstofftechnik. Das Cluster versteht sich als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.“ []
  13. Schwarzwälder Bote v. 13.11.2014. Stefan Preuß, Im Austausch liegt Zukunftschance. Uwe Stoll von Carl Haas plädiert für eine Bündelung der Innovationskraft/ Element der Standortsicherung. []
  14. Südkurier v. 18.03.2015. Spitze bleiben im Verbund mit anderen. []
  15. Vgl. Michael Ungethüm, Wolfgang Kramer, Tuttlingen-Weltzentrum der Medizintechnik. Innen- und Außen (an) sichten. Ostfildern 2013. []

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