Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Wieviel Uhrenfabriken gab es in Schwenningen?

geschrieben am: 08.01.2016 von: Siegfried Heinzmann in Kategorie(n): Cluster, Vorgeschichte

Schwenningen nannte sich in seinen besten Zeiten »größte Uhrenstadt der Welt«,

Schwenningen, die größte Uhrenstadt der Welt (Sammlung: Siegfried Heinzmann)

Schwenningen, die größte Uhrenstadt der Welt (Sammlung: Siegfried Heinzmann)

ein durchaus genialer Werbespruch, der vermutlich auf der jährlichen Uhrenproduktion basierte, die allerdings gewaltig war. 1963 produzierten Schwenninger Uhrenfabriken 4 Millionen Uhren. Hinzu kam noch die Werke-Produktion für bestimmte Großabnehmer, die ebenfalls in hohen Stückzahlen geliefert worden sind. Wie wir unserer Statistik entnehmen können, war zu diesem Zeitpunkt der Höhepunkt der Uhrenproduktion bereits erreicht.

Kürzlich nun konnte man in einem neu erschienenen Stadtführer für Schwenningen lesen, dass es hier einmal »200 Uhrenfabriken« gegeben habe. Diese Zahl regte unsere Redaktion dazu an, einmal zu überprüfen, wie viele Uhrenfabriken es tatsächlich in Schwenningen gegeben hat. »200 Uhrenfabriken« schien uns einfach übertrieben viel! Um die Anzahl Schwenninger Uhrenfabriken festzustellen, hielten wir uns zunächst an Peter Kurz, der 1965 mit seinem Buch „200 Jahre Schwenninger Uhren“ dazu das Notwendige ausführlich und als nach wie vor gültig beschrieben hat. Desgleichen blätterten wir die Adress- und Stadtbücher Schwenningens durch und sahen nach, was in den jeweiligen Erscheinungsjahren an Uhrenfabriken und Uhrenbestandteilefabriken genannt wurde (Siehe dazu unsere Statistik). Nicht zuletzt zogen wir das »Lexikon der Deutschen Uhrenindustrie 1850 – 1980« von Hans-Heinrich Schmid zu Rate, dessen 2. Auflage 2011 erschienen ist. Ein Blick in die 1953 erschienene »Jahresschau der deutschen Industrie«, die Uhrenindustrie Schwenningens betreffend, half ebenfalls weiter.

Um was geht es:
Immer wieder werden Zahlen früher bestehender Schwenninger Uhrenfabriken genannt, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Das Bestreben, aus seiner Stadt etwas Einmaliges, etwas Besonderes zu machen, ist menschlich verständlich – dabei werden freilich Zahlen genannt, die oft weit überhöht sind! Wer schon andernorts Stadtführungen mitgemacht hat, kennt das aus eigenem Erleben. Damit jedoch im Fortgang der kommenden Jahre die Schwenninger Uhrenfabriken nicht immer mehr zunehmen, sei hier einmal versucht, die tatsächliche Anzahl Uhrenfabriken in Erfahrung zu bringen, die es in Schwenningen zwischen 1908 und 2000 gegeben hat.
Der Terminus „Uhrenfabrik“ ist richtigerweise nur auf diejenigen Fabriken anzuwenden, die komplette Uhrwerke und Uhren selbst hergestellt oder zugekauft und montiert haben. Firmen, die lediglich Uhrenbestandteile angefertigt haben, zum Beispiel als Federn-, Zeiger-, Zifferblatt- oder Gehäusefabriken tätig waren, sind keine Uhrenfabriken im eigentlichen Sinne der Uhrenherstellung, waren als Zulieferer freilich eng damit verbunden. Selbst wenn wir diese erst in zweiter Linie von der Uhrenfertigung lebenden Firmen hinzuzählen, muss die Zahl von »200 Uhrenfabriken« bezweifelt werden. Handelsfirmen und Einzelhändler, die allein vom Uhrengroßhandel oder vom Verkauf von Uhren gelebt haben, sind hier nicht zu berücksichtigen.
Bei den Schwenninger Uhrenfabriken handelte es sich um etwa 10 Groß- und Mittelbetriebe mit jeweils 100 oder mehr Beschäftigten, die aber bei den größten Einzelfirmen in die Tausende gingen. All die anderen Betriebe sind Klein- und Kleinstfirmen mit manchmal nur zwei bis zehn, manchmal auch im höheren zweistelligen Bereich Beschäftigten. Deren Arbeitsräume befinden sich meist in Anbauten an Wohnhäusern, in Garagen oder innerhalb der Wohnungen des jeweiligen Firmeninhabers, wie Peter Kurz in seinem nach wie vor wichtigen Buch zur Schwenninger Uhrenindustrie berichtet. Diese Kleinfirmen produzierten oft auf eigene Rechnung und unter eigenem Firmennamen.

Peter Kurz hat sein Buch 1965, auf dem Höhepunkt der Schwenninger Uhrenindustrie herausgebracht. Er sagt zurecht, dass sich in Schwenningen mehr als 100 Firmen der Herstellung von Uhren gewidmet haben und die Stadt deshalb als „Uhrenstadt“ tituliert werden darf. In dieser Zahl sind nicht nur die Firmen, die Uhren produziert haben, sondern auch die Bestandteilefertiger mit eingerechnet. Nehmen wir unsere Statistik, neu zusammengestellt aus den Adress- und Stadtbüchern und sehen uns dort die Zahlen an (Diese stimmen weitgehend mit den Angaben der Beilage im Buch von Peter Kurz überein). Die höchste Firmendichte dürfte um 1954 bestanden haben, als in Schwenningen 74 Uhrenfabriken und 48 Zulieferer genannt werden. Das sind zusammengenommen 122 Fabriken, nicht weniger, aber auch ganz gewiss nicht mehr! Von 1954 bis 1963 zeigen sich die Zahlen annähernd stabil. Danach ist die Tendenz abnehmend und setzt sich bis 1973 verstärkt fort. An deren Ende steht der Niedergang der Schwenninger Uhrenindustrie.

Für den gesamten Zeitraum von 1850 bis 1980 nennt das Lexikon der Deutschen Uhrenindustrie für Schwenningen insgesamt 149 Uhrenfabriken. Darunter sind einige Firmen, die lediglich ein oder nur wenige Jahre bestanden haben oder solche, die Schwenningen aus unterschiedlichen Gründen als Sitz angegeben, aber anderswo gefertigt haben.

Wichtig zu wissen: Diese 149 Uhrenfabriken bestanden nicht gleichzeitig. Schließungen und Neugründungen lösten einander ab. Ziehen wir an dieser Stelle nochmals unsere Statistik heran, so können wir feststellen, dass im besten Jahr 1954 gleichzeitig 74 Uhrenfabriken und 48 Zulieferer bestanden haben. In den Jahrzehnten zuvor und danach waren die Zahlen niedriger bzw. rückläufig. Manche Firmen bestanden nur ein oder wenige Jahre und gingen wieder ein, waren oft, wie schon Peter Kurz erwähnte, Kleinstbetriebe, in denen Familienangehörige und vielleicht ein oder zwei zusätzliche Hilfen gearbeitet haben – oft Uhrenarbeiter aus einer der großen Fabriken, die sich nach Feierabend noch etwas hinzu verdienen wollten.

Schwenninger Uhrenfabriken 1908 bis 2000

JahrFundstelleUhrenfabrikenUhrenbestandteilfabriken
1908Festschrift Kienzle86
1913Adressbuch1010
1920Adressbuch1811
1925Adressbuch4721
1928Stadtbuch4225
1932Stadtbuch4234
1935Stadtbuch5137
1954Stadtbuch7448
1958Stadtbuch7146
1963Stadtbuch7144
1971Stadtbuch4719
1973Stadtbuch3715
1980Stadtbuch226
1986Stadtbuch 197
2000 Stadtbuch13-

Erwähnt sei hier, dass die Jahresschau des Verbandes der Feinmechanischen, Optischen und Uhrenindustrie 1953 für Schwenningen nur 49 Uhrenfabriken und 44 Zulieferer nennt. Das dürfte 1954 kaum anders gewesen sein. Vermutlich waren es die Verbandsmitglieder, während die Schwenninger Stadtbücher alle Hersteller nannten, die in Schwenningen firmierten.

Fazit:
Basierend auf den Stadtbüchern gab es in der Hochblüte der Schwenninger Uhrenindustrie, in den Jahren 1954 bis 1963, insgesamt 224 Firmen, die mit Uhren, deren Bestandteilen oder dem Verkauf derselben zu tun hatten. In dieser Zahl sind jedoch mit 102 Firmen der Uhrengroß- und Uhreneinzelhandel und ein paar Reparaturwerkstätten enthalten, die nun wirklich keine Uhren hergestellt haben, also auch keine »Uhrenfabriken« im eigentlichen Sinn gewesen sind! Zieht man diese 102 Firmen ab, bleiben noch 122 Uhren- und Uhrenbestandteilefabriken übrig. Eine immer noch sehr hohe Zahl an Fabriken, freilich eine, die stimmt!

Man kann also sagen:
In den besten Zeiten der Schwenninger Uhrenindustrie, 1954 bis 1963, gab es im Ort insgesamt 224 Firmen, die von der Uhrenproduktion und deren Vertrieb leben konnten. Es waren 74 Uhrenfabriken, 48 Bestandteilehersteller, 102 Uhrengroß- und Einzelhändler, also reine Verkaufsfirmen, sowie ein paar Reparaturwerkstätten!

Immer wieder ist zu hören, dass es in Schwenningen einmal »200 Uhrenfabriken« gegeben haben soll. Diese Zahl werfen wir in den Abfallkorb der Übertreibungen!-

Aus: Das Heimatblättle. Schwenninger Monatsschrift für Stadtgeschichte und Brauchtum. 63. Jahrgang, Nr. 9, September 2015. Übernommen mit freundlicher Genehmigung des Autors Siegfried Heinzmann.

Hanhart Pioneer TachyTele: Historischer Flieger-Chronograph im Test › Chrononautix am 27. Februar 2017 um 17:26 Uhr

[…] nach Deutschland in die „einst größte Uhrenstadt der Welt“ Schwenningen verlegen. In der Hochblüte der Schwenninger Uhrenindustrie, in den Jahren 1954 bis 1963, gab es insgesamt 224 Firmen, die mit Uhren, deren Bestandteilen oder […]

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