Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Anfänge der Uhrenindustrie in Schwenningen

geschrieben am: 11.12.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Cluster, Vorgeschichte

Bis in die 70er Jahre des 20 Jahrhunderts wurde die Wirtschaft der Region von der Uhrenindustrie bestimmt. Besonders ausgeprägt war die Abhängigkeit von dieser Branche im württembergischen Schwenningen. In den 60er Jahren bezeichnete sich Schwenningen immer noch als größte Uhrenstadt der Welt. Die Abhängigkeit von dieser Branchen sollte sich durch den Zusammenbruch der Uhrenindustrie ab 1975 als äußerst verhängnisvoll erweisen, Schwenningen verkehrte sich von einer Stadt mit einer vormals außerordentlich hohen Beschäftigungsquote in einen Stadtteil mit der höchsten Arbeitslosenquote der Region.

Gründerzeit in Schwenningen

Schwenningen um 1900 (Bild Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Schwenningen um 1900 (Bild Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Die drei größten Schwenninger Unternehmen, die die Schwenninger Uhrenindustrie bis zu ihrem Niedergang in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts dominierten, wurden alle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Als Handwerksbetrieb oder als Handelsgeschäft. Die Firma Kienzle, vormals Schlenker, begann 1822 als Handwerksbetrieb der Uhrmacherei wie die Firma Haller 1842 und die Firma Mauthe, die 1844 als Handelsgeschäft gegründet wurde, und sich unter anderem im Uhrenhandel engagierte.

Jakob Kienzle

Die um 1900 größte Schwenninger Uhrenfabrik, die Firma Kienzle1  entstand 1883 aus einem 1822 in Schwenningen gegründeten Handwerksbetrieb. Der Gründer Johannes Schlenker wurde am 25.3.1787 in Schwenningen geboren. Nach der Lehrzeit leistete er während der napoleonischen Feldzüge und der Freiheitskriege elf Jahre Militärdienst. Anschießend ließ er sich 1822 als selbständiger Uhrmachermeister in Schwenningen nieder „Es wurden (damals) nur die gewöhnlichen zwölfstündigen Holzuhren, sog. holzgespindelte mit Schnuraufzug, angefertigt … (Johannes Schlenker) brachte sich leidlich durch, im Winter ging er auf den Uhrenhandel, um die Uhren, die er den Sommer über verfertigte, zu verkaufen. Der Verdienst war karg, und hätte er nicht nebenher Landwirtschaft betrieben, wäre er nicht imstande gewesen, seine Familie zu ernähren.“ Der Betrieb beschäftigte „mehrere Gesellen und Lehrlinge“. Die Firma vertrieb ihre Uhren selbst. „Die beiden älteren Söhne verhausierten die im Sommer angefertigten Uhren den Winter über im sogenannten „Uhrenland“, wie man es früher allgemein hieß. Ein gutes Absatzgebiet war Österreich und besonders Böhmen, wo die Brüder in Prag eine Niederlage errichtet hatten, um von dort aus auf Traggestellen, den sogenannten „Krätzen“, die Uhren von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt zu tragen. Das beschwerliche Hausieren wurde mit vergrößertem Umsatz eingestellt und nur noch die Messen und Märkte in Böhmen, Mähren und Schlesien besucht … Der jüngere Bruder Christian war ausschließlich zu Hause tätig; er war an der Werkbank an der Spitze seiner Arbeiter, erzeugte also die Uhren und besorgte de¬ren Versand. Nachdem der älteste Bruder im Jahre 1854 nach Amerika ausgewandert war, arbeiteten die beiden anderen Brüder bis zum Jahre 1864, dem Todesjahr ihres Vaters, für Rechnung der ganzen Familie rüstig weiter. Sie beschäftigten noch eine größere Zahl von Heimarbeitern in der ganzen Umgegend, denen sie die Rohwaren mit nach Hause gaben, um von ihnen die fertigen Uhren wieder zu erhalten. Der ältere Bruder Erhard, welcher sich nicht verheiratete, errichtete Verkaufsstellen, wie in Prag und Wien, die sich nach und nach zu selb-ständigen Geschäften entwickelten, und besuchte die Uhrmacher in den größeren Städten … Er war mehr Kaufmann als Handwerker gewesen, sprach mehrere Sprachen und ihm ist größten¬teils zu verdanken, daß die österreichisch-ungarische Monarchie für den Schwarzwälder Uhrenhandel ein wertvolles Absatzgebiet wurde.“2
Seit den 50er Jahren wurden massive Messinguhren im Badischen aber auch schon in Schwenningen bei der württembergischen Uhrenfabrik und seit den 70er Jahren bei Friedrich Mauthe hergestellt. Insoweit blieb der Firma Schlenker nichts anderes übrig, wollte sie bestehen bleiben, sich diesem Zug der Zeit anzuschließen. „Christian Schlenker, auf den schließlich das Geschäft übergegangen war, übergab es i.J. 1883 seinem Sohn C.J. Schlenker und seinem Schwiegersohn J. Kienzle … Im Jahre 1885 starb Christian Schlenker … Im selben Jahr wurde in der Nähe des Bahnhofs eine Schloß- und Beschlägefabrik erworben, worin nun mit einer Maschine von 10 Pferdekräften gearbeitet wurde … Im folgenden Jahre mußte die neu erworbene Fabrik durch den Aufbau eines Stockwerkes vergrößert werden. Um nicht infolge der Zollerhöhung die österreichische Kundschaft zu verlieren, wurde 1888 eine Filiale zu Komotau in Böhmen errichtet. Gleichzeitig erhielt die Schwenninger Fabrik einen stattlichen Anbau. 1893 mußte noch ein dreistöckiger Neubau erstellt und eine Dampfmaschine von 50 bis 60 Pferdekräften aufgestellt werden.“ Auch in London gab es ein Verkaufsbüro.3
Insgesamt bauten drei Generationen die Firma Schlenker und Kienzle auf. Aber auch innerhalb einer Generation mußten alle zusammenhelfen.4
Drei Brüder teilten sich und organisierten die Arbeit. Die Firma Schlenker besorgte ihren Vertrieb selbst, und baute sich in der Donaumonarchie einen Absatzmarkt auf. Neben dem Hauptgeschäft ließ die Firma aber auch mehrere Kleinstbetriebe für sich arbeiten. Sie übernahm für diese Hausindustriellen die Beschaffung der Rohmaterialien und der Bestandteile sowie den Vertrieb der Ware. Ende der 70 er Jahre zählte die Firma zu den größten Handwerksbetrieben Schwenningens.

Thomas Haller

Ähnlich entwickelte sich die Gründung der Uhrenfabrik Thomas Haller.5
Der Firmengründer „Thomas Haller alt“ wurde „am 8. August 1821 geboren. Er war der älteste Sohn von sechs Geschwistern. … Die Uhrmacherei erlernte er bei einem hies. Uhrmacher und ist derselben bis zu seinem Ende treu geblieben. Wie jedes Geschäft sich erst seine Bahn ebnen muß, wie es Absatzquellen suchen muß, so war es auch mit dem des … (Thomas Haller alt). Fast ein Viertel im Jahr war er auf Uhrenhandel und fallen davon 12 Jahre auf Österreich und 30 Jahre auf Holland. … Die Gründung seines Geschäfts fällt auf das Jahr 1842 und hat dasselbe … einen ungeahnten Aufschwung genommen, in den letzten Jahren unter der thätigen und geschickten Leitung seiner Söhne .“

Nicht alle Unternehmer der Gründerphase waren gelernte Uhrmacher, so gab es auch Koope-rationen zwischen kaufmännisch denkenden Unternehmern und technisch orientierten Handwerkern, so bei Mauthe, bei Bürk, aber auch bei Schlenker und Kienzle. Als reine Fabrikgründung begann allein die Württembergischen Uhrenfabrik 1858, deren Gründer Johannes Bürk von Anfang an eine andere Uhrenproduktion, eher technisch-wissenschaftlich und vor allem streng arbeitsteilig im Blickfeld hatte. 1861 verwirklichte Johannes Bürk mit Staatshilfe die alten Pläne einer eigenständige Messinggießerei mit Bestandteilfabrikation, um von der badischen Konkurrenz unabhängig zu werden. Gleichzeitig richtete er eine Lehrwerkstätte für Arbeiter ein.

Friedrich Mauthe

Der Kaufmann Friedrich Mauthe6
kam vom Uhrenhandel her. Friedrich Mauthe lernte nach der Schule in der Buchhandlung Schellhorn in Rottweil, arbeitete dann als Commis in Rastatt und in Offenburg. 1844 heiratete er Marie Kienzle in Schwenningen und machte sich selbständig. In seinem Gemischtwarenladen verkaufte er auch Materialien für die Uhrenherstellung. Nachdem eigene Verhandlungen zusammen mit den Brüdern Haller um finanzielle Hilfe durch die würt-tembergische Zentralstelle für Gewerbe und Handel 1852/53 scheiterten, betrieb Mauthe neben seinem Kolonialwarengeschäft einen Großhandel mit Uhren. Er vermarktete die Uhren selbst auf seinen Geschäftsreisen. In den späten 60er Jahren begann er eine eigene Produktion in gemieteten Räumen mit etwa 10 Arbeitern. Die Bauteile bezog er von der Württembergischen Uhrenfabrik. 1876 übergab er das Geschäft an seine Söhne Christian und Jakob. Erst die Söhne stellten das Handelsgeschäft schrittweise auf die Fabrikation von Uhren um.7

Verhandlungen mit der Regierung

Friedrich Mauthe und Johannes Bürk versuchen schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts Unterstützung für ihre Unternehmungen von der württembergischen Centralstelle für Handel und Gewerbe zu bekommen, wenn auch mit weniger Erfolg. Johannes Bürk zum Beispiel versuchte seine Erfindungen Regierungsstellen anzubieten und über unterschiedlichste Gewerbeausstellungen seine Produkte anzubieten bzw. Anregungen für seine industrielle Produktion und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Schwenninger Industrie zu erreichen. Beide Unternehmer hatten weiterreichende geschäftliche Kontakte und besassen die Fähigkeit mit der Verwaltung umzugehen. Sie verfügten über Marktkenntnisse und Absatzmöglichkeiten. Friedrich Mauthe und Johannes Bürk wurden von den Behörden als Gesprächspartner akzeptiert.

Schwenningen zeichnete sich bis zur Städtefusion 1972 vor allem dadurch aus, dass es kaum über öffentlich Verwaltungseinrichtungen verfügte, obwohl es im Landkreis Rottweil die größte Stadt war.  Die Kreisstadt Rottweil mit wichtigen auch für Schwenningen zuständigen Ämtern und Institutionen hatte 1966 19 196 Einwohner und die Stadt Schwenningen 33 688 Einwohner. Die Gewerbetreibenden mussten also ihr Schicksal schon selbst in die Hand nehmen, wenn sie für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen etwas erreichen wollten.

  1. NQ 25.5.1908 „Die Feier des 25jährigen Bestehens der Firma Schlenker & Kienzle in Schwenningen.“ []
  2. Festschrift der Fa. Schlenker & Kienzle, S. 6 f. []
  3. NQ 10.3.1885 Zum Tode des Uhrenfabrikanten Christian Schlenker: „Der Verstorbene war ein thätiger, umsichtsvoller Mann mit offenem, geraden Sinn und festem Charakter. Deshalb besaß er auch das allgemeine Vertrauen, was seine vielseitige, geachtete Stellung beweist. Er war 16 Jahre Mitglied des Gemeinderaths und Delegierter der Amtsversammlung, Mitglied der Ortsschulbehörde und des Gemeindegerichts und Ehrenmitglied des Gewerbevereins, zu dessen Mitbegründern er zählte. Das Uhrengeschäft, das 1820 von seinem Vater Johannes gegründet, und unter dieser Firma heute noch fortgeführt wird, brachte er in Gemeinschaft mit seinem ihm im Tod vorausgegeangenen Bruder Erhard zu der heutigen Blüthe. Bedeutend erweitert übergab er es vor erst 2 Jahren seinem Sohn Johannes und seinem Tochtermann Kienzle, und durfte sich noch des guten Fortgangs erfreuen, den dasselbe auch unter ihrer Leitung nimmt.“ Die Gründerunternehmer waren laut Zeitungsartikel damals in das dörfliche Gemeindeleben gut integriert, am Stammtisch gern gesehen. []
  4. NQ 26.5.1908 Beim 25-jährigen Jubiläum 1908 erinnerte sich der Firmengründer C.J.Schlenker an die Zu¬sammenarbeit unter den Familienmitgliedern in den Anfangsjahren. „Ich denke zurück an die Zeit, wo ich selber noch am Werkbank saß und arbeitete, ich denke zurück an meine Vorfahren, an meinen Vater und meinen Onkel, die so fleißig und bescheiden arbeiteten … die den festen und soliden Grund gelegt haben.“ Er beschrieb die Anfangstätigkeit der beiden Firmenchefs, C.J.Schlenker und Jakob Kienzle: „Jeder von uns war damals nicht bloß Buchhalter und Korrespondent; sondern auch Magaziner und Packer in einer Person… Unser treuer Grimm, der heute auch unter den Festgästen ist, war nicht nur Heizer und Maschinist, sondern auch Gußputzer, Magaziner und Portier.“ []
  5. NQ 26.2.1884 []
  6. NQ 5.2.1884. Nachruf für Friedrich Mauthe, geb. am 26.6.1822, gest. am 2.2.1884. []
  7. Gehring, Paul: Friedrich Mauthe, Kaufmann und Uhrenfabrikant in Schwenningen, ebenso. Die Firma Friedrich Mauthe neben der Krone 1844-1904, ebenso Friedrich Mauthe GmbH, Uhrenfabriken, Schwenningen a.N. „Geschichte und Aufbau einer Firma“, ebenso Kahlert, Helmut/ Pfänder, Werner: Die Uhrenfabrik Friedrich Mauthe in Schwenningen (1844-1975). []

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