Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Subventionspolitik über das Städtebauförderungsgesetz?

geschrieben am: 01.12.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle
(Elektronisches Kienzle-Werk, Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Moderne Produkte brauchen moderne Gebäude. Ließ sich Kienzle seine Modernisierung über das Städtebauförderungsgesetz subventionieren? (Elektronisches Kienzle-Werk 1983, Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Zwölf Schwenninger Unternehmer beschweren sich
Die Überlegungen der Kienzle-Uhrenfabrik, wie man bei einem Umzug seine alten Grundstücke und Gebäude sinnvoll verwerten könne, überzeugten auch andere Unternehmen in Schwenningen.Der Oberbürgermeister erhielt bereits am 28. 1.1984 ein Schreiben der Maschinenfabrik Steinel. Steinel sei ein bedeutendes Unternehmen für die Stadt. Die Eigenkapital-Ausstattung werde aber gefährdet, „indem man durch die bisherige Stadtentwicklungspolitik und durch einige vorgesehene Maßnahmen möglicherwiese die Verwertung des innerstädtischen Grundstücks Werk II behindert bzw. unmöglich macht. Wir sind seinerzeit u.a. dem Drängen der Stadt gefolgt und haben aus eigener Finanzkraft ein neues Werk im Industriegebiet erstellt.“ Die Firma bittet nun um Unterstützung durch die Stadt bei der Verwertung des Grundstücks und ‚Aufnahme in das Sanierungsprogramm‘.1

Am 17. 2. 1984, dem Tag der Gemeinderatsitzung, ging ein TELEX an Ministerpräsident Späth von zwölf Schwenninger Unternehmern unterzeichnet. Die Firmen erklärten, dass sie im Besitz von innerstädtischen Grundstücken seien, ein Teil von ihnen mit Risikobereitschaft die Aussiedlung aus Eigenmitteln geleistet habe. Die unterzeichneten Firmen verlangten Förderung des Landes Baden-Württemberg für ihre durchgeführten bzw. geplanten Umsiedlungen „weil es uns nicht zumutbar ist, steuern abzuführen und damit e i n unternehmen erneut und allein in den genuss von erheblichen Subventionen zu bringen.“2

Für Lothar Späth antwortete Wirtschaftsminister Eberle am 8. 3.1984: „der in der Öffentlichkeit genannte betrag von 15 mio dm, welcher der Firma Kienzle zufliessen soll, setzt sich zusammen aus einem betrag von 13 mio dm entschädigung im rahmen eines städtebaulichen sanierungsverfahrens und einem betrag von 1-2 mio dm, der als wirtschaftsfoerderung in Aussicht genommen ist, zugesagt für den fall, dass kienzle die firma wigo uebernimmt und ein bestimmtes volumen in moderne technologien investiert.“ Solche Mittel könnten unter denselben Bedingungen alle Firmen bekommen. Dies gelte aber nicht für die Sanierungsentschädigung. Diese sei Folge: „ eines vorausschauenden, in städtebaulicher verantwortung, getroffenen Beschlusses der Stadt Villingen-Schwenningen.“ Es sei nichts dagegen einzuwenden, dass die Fa. Kienzle die Gunst der Stunde nutzt und den einmaligen städtebaulichen umstand mit der Wirtschaftsförderung für ihre Ziele verbindet. Die Sicherung der Wigo-Arbeitsplätze durch Kienzle mit ca. 50 Mio DM Investitionen sei ein hoher Beitrag zur Strukturverbesserung der Region.3

Am 13. März 1984 ging das Antwort-Telex an die baden-württembergische Landesregierung. Störend sei vor allem, „dass einer Schwenninger Firma, die sich nicht in akuten schwierigkeiten befindet, foerdermittel zur Aussiedlung üeber das staedtebaufoerderungsgesetz zur Verfügung gestellt werden, ohne dass dieselbe moeglichkeit den anderen betroffenen Firmen eingeraeumt wird.“ „im uebrigen wurden wir darauf hingewiesen, dass die Initiative fuer diese transaktion nicht von der stadtverwaltung ausgegangen sei.“ Die unterzeichnenden 18 Schwenninger Unternehmen betonten, dass hier eine höchst fragwürdige Subventionspolitik über das Stadtbauförderungsgesetz betrieben werde und verlangten Gleichbehandlung mit der Firma Kienzle.4

Landesregierung: Die Stadt kann weitere Anträge stellen
Der Ministerpräsident Lothar Späth bedankte sich für das TELEX und ließ am 2. April 1984 antworten, dass Kienzle schließlich seine Produktion umstrukturieren wolle, was zu einer Strukturverbesserung der Region führe. Immerhin hätten 32 von 48 Stadträten, dem Vereinbarungsentwurf zwischen der Stadt Villingen-Schwenningen und der Firma Kienzle zugestimmt, weil diese der Sicherung von 800 Arbeitsplätzen „eine vorrangige Bedeutung zugemessen hätten.“ Die Gemeinderat habe beschlossen für die die Sanierungsmaßnahmen einen Förderrahmen von 18 Millionen Mark zu beantragen, davon seien höchsten 14 Millionen für Kienzle, der Rest für die Neugestaltung des Gebiets bestimmt. Die Entscheidung sei allein beim Gemeinderat gelegen. „wenn sie ihrerseits darauf verweisen, dass sie dem Land eine Vielzahl entsprechender grundstücke im stadtkern von villingen-schwenningen anbieten können“, könne die Stadt ja weitere Anträge zur Aufnahme in das Landessanierungsprogramm stellen, das Innenministerium werde dann die entsprechenden Voraussetzungen für eine Förderung prüfen. Die Landesregierung gehe allerdings davon aus, „dass die von der stadt villingen-schwenningen beantragte sanierungsentschaedigung für das kienzle-areal auf einer ganz bestimmten staedtebaulichen Situation beruht, die nicht ohne weiteres wiederholbar ist.“5

Bei der Durchführung seiner Umsiedlungsplänen erwies sich der Kienzle-Geschäftsführer Horst Rosenbaum als strategisch sehr geschickt und vor allem gut informiert, was er seinem exzellenten bis in die Landesregierung von Baden-Württemberg hineinreichenden politischen Netzwerk verdankte. In diesem Sinne war er den ansonsten doch eher schwäbisch-bieder auftretenden Geschäftsführern der Stadt Villingen-Schwenningen aber auch der Stadtverwaltung gegenüber zweifellos überlegen.

Rosenbaum besaß hervorragende überregionale Medienkontakte und nutzte diese, um seine Aktionen entsprechend erfolgreich zu begleiten, bzw. die öffentliche Meinung im Sinne der Fa. Kienzle zu lenken. Da hatte sich seit der Ära Börger bei Kienzle einiges geändert.

Der smarte Rosenbaum konnte sich hervorragend verkaufen. Obwohl seine Ideen zur Rettung der Region mit dem Einstieg in die Computertechnik 1984 mit Sicherheit nicht mehr neu waren, und vermutlich zu dieser Zeit auch nicht mehr so erfolgversprechend, wie dies ein Stadtrat zu recht bemerkte, wurde grundsätzliche Kritik an Rosenbaums Plänen in der Presse nicht geäußert.

100 Arbeitsplätze waren im Wahlkampf ein Argument für die Unterstützung der Rosenbaumpläne durch die Landesregierung aber auch ein Argument für die Zustimmung des Gemeinderates. Bei der Abstimmung im Gemeinderat wurde auf einer geheimen Abstimmung bestanden, weil keiner sich schlussendlich von den Bürgern darauf ansprechen lassen wollte, er habe sich gegen die Rettung von Arbeitsplätzen ausgesprochen.

  1. StAVS 1.13 Nr. 1639 []
  2. StAVS 1.13 Nr. 1639 []
  3. A.a.O. []
  4. A.a.O. []
  5. A.a.O. unterzeichnet Gustav Wabro, Ministerialdirektor, Staatsministerium Baden-Württemberg []

Kommentar schreiben

Kommentar

  • Kategorien