Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Rosenbaum rettet Wigo – Arbeitsplätze

geschrieben am: 01.12.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle

Landtagswahl und Rettung von Arbeitsplätzen
Im April 1984 sollte ein neuer Landtag gewählt werden. Im September 1983 ging der Schwenninger Elektrogerätehersteller Wigo ( Gottlob Widmann u. Söhne GmbH) mit 100 Mitarbeitern in Konkurs. Zu Wigo gehörte auch die Tochterfirma Esge Elektro-Uhren GmbH in Neuffen mit 130 Mitarbeitern1 .
Die Zeit war günstig für Horst Rosenbaum. Kienzle zeigte sich interessiert am Kauf des maroden Unternehmens und wollte die Arbeitsplätze in Schwenningen und Neuffen erhalten.2 Horst Rosenbaum führte sofort Gespräche mit der Landesregierung, ob „ein Technologietransfer Esge-Kienzle förderungswürdig“ sei3 . Am 20. 12 erhielt er die Zusage aus Stuttgart4 .
Sein Plan war: Kienzle übernimmt Wigo mit allen Arbeitsplätzen und dem Wigo- Grundstück im Gewerbegebiet. Dafür sollte die Stadt Villingen-Schwenningen Kienzle das Gelände am Bahnhof abkaufen.5
Da die Stadt die nötigen Summen niemals aufbringen konnte, bot der Weg über die Einbeziehung des Kienzle-Areals in die Muslensanierung einen genialen Ausweg. Dieses Vorgehen ermöglichte erhebliche Landeszuschüsse über die Städtebauförderung. Die Übernahme von Wigo würde Kienzle zusätzliches technisches Knowhow einbringen, weshalb dieser Deal auch noch als Technologietransfer vom Land bezuschusst werden konnte.6
Die Stadt Villingen-Schwenningen stand nun vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder man übernahm die alten Kienzle-Gebäude und verschuldete sich weiter, rettete damit aber direkt 100 Arbeitsplätze bei Wigo und sicherte langfristig 700 Arbeitsplätze bei Kienzle- Uhren, oder man riskierte die Wigo-Arbeitsplätze und vermied weitere Verschuldungen.7
Die finanziellen Zusagen des Landes Baden-Württemberg was die Übernahme von Wigo/Esge durch Kienzle anging veranlassten die am Konkurs von Wigo beteiligten Banken ihre Forderungen zu erhöhen, was das Projekt fast gefährdet hätte.8
Die Banken gaben nach, nachdem ihnen zwei Tage zuvor wegen ihrer Gier in der Presse der schwarze Peter für das mögliche Scheitern des geplanten Rosenbaum-Vorgehens unterstellt worden war9 .
Die raschen Finanzierungszusagen aus Stuttgart wertete Horst Rosenbaum als Indiz dafür, dass die Landesregierung „den strukturschwachen und hinsichtlich der Arbeitslosenquote an zweiter Stelle im Land rangierenden Raum Villingen-Schwenningen nicht ausbluten lassen möchte“. Mit der Übernahme der rund 200 Wigo- Esge-Arbeitsplätze in Schwenningen und in Neuffen komme die Fa. Kienzle nachgerade „eine[r] moralische[n] Verpflichtung“ nach10 .
Die Stadt Villingen-Schwenningen zögerte weiterhin, die ihr von Rosenbaum zugedachte Kostenübernahme durch den Kauf der Kienzle-Grundstücke erschienen ihr trotz Landeszuschüssen aus dem Städtebauförderungsprogramm immer noch zu hoch.
Mit einem Schreiben vom 27.1. 1984 an die Stadtverwaltung drängte Horst Rosenbaum zur Eile. Das Innenministerium habe der Übernahme der freiwerdenden Kienzle-Grundstücke in das Landessanierungsprogramm zugestimmt. Wegen des Konkursverfahrens würde die Firma Wigo keine Aufträge mehr bekommen. Durch die Übernahme von Wigo/ Esge entstehe für Kienzle eine Risiko von ca. 15 Mio DM, durch die Verlagerung von Kienzle zusätzlich ein Risiko von 25 Mio DM. „Es ist verständlich, daß KIENZLE nicht in die Lage versetzt werden sollte, daß durch derartige Risiken das Unternehmen an sich und die damit verbundenen ca. 700 Arbeitsplätze gefährdet werden.“ Bis zum 15.2.1984 brauche das Unternehmen eine feste Zusage vom Land und von der Stadt über „die voraussichtliche Höhe der Gesamtentschädigung“11 .
Das Planungsamt der Stadt rechnete mit Kosten von 10,8 Millionen DM für die Stadt und überlegte, wie die Entschädigungsforderungen der Firma Kienzle auf „eine vertretbare Höhe“ reduziert werden könnten.12 Ein weiteres Schreiben der Firma Kienzle vom 3.2.1984 an Bürgermeister Kühn befürchtete, „daß Wigo spätestens Ende dieses Monats für KIENZLE ein so großes Risiko darstell[e], daß der Gesamtplan scheiter[n könnte]. KIENZLE [dürfe] in keinem Fall durch die Übernahme von Wigo in der Existenz bedroht werden. Nur wenn KIENZLE kurzfristig eine verbindliche Zusage (Stadt/ Land) über die Höhe der Entschädigung [erhalte], [sei das Unternehmen] in der Lage, die Auswirkungen [der] Umstrukturierung unter Einbeziehung der Investitionen für Kienzle, Wigo und Esge zu berechnen und damit die endgültige Entscheidung zu fällen. [Kienzle stehe] unter ungeheurem Zeitdruck und [sei] auf unkonventionelle Maßnahmen angewiesen.“13

Rosenbaum ließ sich als weitsichtiger Manager in der Presse feiern
Begleitet wurde das Vorgehen des Managers Horst Rosenbaums auch durch entsprechen positive Reaktionen in der überregionalen Presse. Weil die Großuhr nach Rosenbaum technologisch weitgehend ausgereizt sei, „suche man nach neuen Anwendungen für Quartzwerkantriebe und ha[be] sie, … im Bereich von Kfz-Komponenten (Autospiegelantrieb) gefunden … Ferner w[olle] Kienzle einen Markt für elektronische Heizkostenverteiler finden. Vor allem aber bemüh[e] sich Rosenbaum um den Aufbau einer Produktion von elektronischen Baugruppen für Mikrocomputer. Hier habe Kienzle einen Kooperationsvertrag mit der SKS (Steinmetz, Krischke Systemtechnik GmbH, Ettlingen) abgeschlossen, einem Ingenieurbüro, das Computersysteme entwickle. Kienzle werde für SKS elektronische Baumodule, Leiterplatten und integrierte Schaltkreise zusammensetzen und prüfen. Damit sei bereits im Januar [1984] begonnen worden.“
Die neuen Produkte würden bereits 1984 neun Prozent des Kienzle-Umsatzes ausmachen, so Rosenbaum. Für 1985 sei das Ziel 13 Prozent. Der Aufbau dieses zweiten Standbeins versprach zusätzliche Mittel aus dem Wirtschaftsförderprogramm des Landes Baden-Württemberg. Weitere Fördermittel sollten aus dem Technologietransfer Kienzle-Esge gewonnen werden. Esge in Neuffen stellte „Digitalwecker … sowie Motoren für Werkzeugmaschinen-Steuerungsanlagen“, was wichtig für die neuen Kienzle-Aktivitäten im Bereich Elektronik sei.
Vor den Landtagswahlen am 25. März 1984 war die Lage für Horst Rosenbaum einmalig günstig und er verstand es sie zu nutzen. Schließlich war die Landesregierung Baden-Württemberg auch mit Blick auf die Wahlen an dem Erhalt der Arbeitsplätze von Wigo und Esge äußerst interessiert.14
In der Presse stellte Rosenbaum dar, dass das Unternehmen zwischen 40 und 60 Millionen DM in eine moderne Produktion nach dem geplanten Umzug investieren wolle. Allerdings erwarte man dafür von der Stadt Villingen-Schwenningen das Kienzle-Areal für stolze 30 Millionen DM zu kaufen. Diese Forderung erschien zumindest dem Land Baden-Württemberg und der Stadt als reichlich überzogen, weshalb Rosenbaums Forderungen auf 20 Millionen reduziert wurden15

  1. StAVS 4.9-29 SWP 23.12.1983 []
  2. StAVS 4.9-29, Schwabo 16.12.1983 []
  3. A.a.O. Schwabo v. 19.12. 1983 []
  4. A.a.O. Schwabo v. 21.12.1983 Land unterstützt Wigo-Übernahme durch Kienzle. Weitere Gespräche in dieser Angelegenheit fanden zwischen Wirtschaftsminister Eberle, dem Abgeordnetem Teufel, den Geschäftsführern Rosenbaum und Hott, Vertreter des Innenministeriums, des Landesarbeitsamts und dem Oberbürgermeister, sowie Bürgermeister Kühn statt []
  5. StAVS 4.9-29 Schwabo 16.12.1983. Kienzle-Uhren an Kauf von Wigo stark interessiert. Erste Voraussetzungen für Übernahme geschaffen. Uhrenfabrik will ins Gewerbegebiet aussiedeln/ Stadt soll freiwerdendes Areal kaufen. []
  6. StAVS 4.9-29 Schwabo19.12.1983, SWP 19.12.1983 Esge-Wigo zu Kienzle? []
  7. StAVS Schwabo 16.12.1983. Dietmar Danner: Schwarzer Peter für die Stadt []
  8. A.a.O. SWP 22.12.1983. Unannehmbare Forderungen der Banken. Scheitert die Wigo-Übernahme noch! []
  9. A.a.O. NQ 24.12.1983. Der ‚Handel‘ ist perfekt: Wigo wird von Kienzle übernommen. Geldinstitute gaben nach. Horst Rosenbaum: ‚Haben einen Preis gezahlt, der an Grenze des Erträglichen geht.‘- „Nach Einschätzung Horst Rosenbaums… dürfte möglicherweise auch der SWP-Bericht vom Donnerstag (Scheitert die Wigo-Übernahme noch?) mit dazu beigetragen haben, daß die im Bankenpool vereinigten Geldinstitute doch noch von ihren ‚unannehmbaren Forderungen‘ abgerückt sind. Horst Rosenbaum zur Verhandlungsatmosphäre nach dem Bericht: ‚Die Banken waren mir zwar böse, doch die Verhandlungen hat das sicherlich beschleunigt.‘ (Gesprächsführer war der Wigo-Konkursverwalter Hans Georg Winderlich) … „Winderlich selbst freute sich gestern Abend denn auch über den erfolgreichen Ausgang seiner Vermittler-Funktion.“ []
  10. A.a.O. Handelsblatt 23./24. 12.1983. WIGO/ 700 Mitarbeiter können endlich Hoffnung schöpfen. Kienzle-Uhren will voller Engagement einsteigen []
  11. StAVS 1.13 Nr. 1693 Schreiben der Kienzle Uhrenfabriken v. 27.1.1984. Unterz. Rosenbaum und Hott []
  12. A.a.O. Planungsamt Herr Herzer an den Oberbürgermeister v. 1.2.1984 Das Unternehmen sei leider gut vorbereitet und habe mit entsprechenden Gutachten solchen Verhandlungen vorgebeugt. []
  13. A.a.O. Schreiben von Kienzle an Bürgermeister Kühn v. 3.2.1984 []
  14. A.a.O. Handelsblatt 18.1.1984. Georg Heller: Kienzle-Uhren/ Rosenbaum sucht Kooperationen. Neue Produkte sollen das weitere Wachstum sichern []
  15. A.a.O. Schwabo 16.2.1984. Kienzle-Uhren: Sicherung von 800 Arbeitsplätzen mit Investitionen zwischen 40 und 60 Millionen. Allerdings: Als Gegenleistung muß die Stadt das Schwenninger Kienzle-Areal kaufen. []

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