Soll Mauthe liquidiert werden?
1973 Wechsel innerhalb der Geschäftsführung
Am 11. Dezember 1972 fand eine außerordentliche Gesellschafterversammlung im Hotel Ketterer in Villingen statt. Die Situation innerhalb der Leitung des Unternehmens hatte sich verändert. Durch Todesfälle ((Helene Mauthe 1972, Ernst Jung 1972, Clara Etter 1971)) vermehrten sich die Gesellschafter von fünf auf 19 Mitglieder, darunter zwölf Frauen. Die Geschäftsanteile der Gesellschafter schwankten zwischen knapp 14 % und 0,58 % aller Anteile. Nur noch 10 der 19 Gesellschafter lebten in Schwenningen. Die Bindungen der Mauthe-Nachfahren zu ihrem Unternehmen lockerten sich zusehends.
Zum Jahresende 1972 schieden die beiden Geschäftsführer Eugen H. Schreiber (geb. 1905) und Curt Edgar Schreiber (geb. 1910) altershalber als Geschäftsführer aus. Ihre Nachfolger Dr. Jürgen Jung und Dipl. Ing. Hanns Frieder Bertsch waren zwar schon einige Zeit im Geschäft als stellvertretende Geschäftsführer. Die Zunahme der Anteilseigner von 5 auf 19 Gesellschafter machte aber die Entscheidungsfindung für die Friedrich Mauthe GmbH sicher nicht leichter.
Umsätze der Uhrenfabrik Mauthe 1969 - 29. Okt. 1975 in DM
Jahr | Umsatz in DM |
---|---|
1969 | 20.666.367,49 |
1970 | 22.138.351,29 |
1971 | 17.962.051,56 |
1972 | 15.778.571,48 |
1973 | 17.572.781,07 |
1974 | 16.702.189,23 |
1975 | 8.200.000,-- |
1970 Personalkosten über 70 %
Die wirtschaftliche Lage hatte sich weiterhin verschlechtert. Der Umsatz ging im Uhrenbereich 1972 um 3 Mio DM zurück, allein 2 Mio DM wurden durch währungsbedingte Exportausfälle verursacht. ((Situationsbericht vom 11.12.1972, Anlage zum Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung, S. 5)) Die Geschäftsführung berichtete in der Gesellschafterversammlung im Dezember 1972 ((Situationsbericht v. 11.12.1972 S. 3, Anlage zum Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 11.12.1972 in Villingen/ Hotel Ketterer)) , „da im Jahre 1971 unsere Personalkosten auf über 70 % vom Umsatz angestiegen waren und im ersten Halbjahr 1972 sogar 77% erreichten, war unser Hauptbestreben, diese Personalkosten zu senken. Sie betrugen in den Monaten Juli-Oktober noch 57 % der Betriebsleistung. Das läßt sich nur durch entsprechenden Personalabbau realisieren.
Mitarbeiter der Uhrenfabrik Mauthe 1968 - 1975
Jahr | Mitarbeiter |
---|---|
1968 | 923 |
1969 | 936 |
1970 | 883 |
1971 | 723 |
1972 | 594 |
1973 | 490 |
1974 | 446 |
1975 | 403 |
Okt. 1975 | 360 |
Im Laufe des Jahres wurde der Personalstand von 723 auf 594 d.h. um 18,5 % gesenkt.“ Dies bedeutete Umsetzungen und viele Veränderungen innerhalb der Belegschaft und damit erhebliche Schwierigkeiten.
Ständige Personalentlassungen
Ständige Personalentlassungen verringerten zwar die Personalkosten, führten aber dazu, dass gerade fähige Mitarbeiter sich einen neuen Arbeitsplatz suchten. Durch zu viele Entlassungen konnte auch die Funktionsfähigkeit eines Unternehmens gefährdet werden. Außerdem schädigten die dauernden Entlassungen den Ruf der Firma.
Zur Liquiditätsentwicklung bemerkte die Geschäftsleitung, zum 1.1.1972 gab es eine Unterdeckung von 1,6 Mio DM, zum 1.7.1972 von 3,7 Mio DM, zum 30.11. von 3,5 Mio DM, was an einer Zunahme der Verluste und der Lagerbestände lag.
Versuche, das Blatt zu enden, wie Diversifikations- und Kooperationsbemühungen hatten nur wenig Erfolg ((A.a.O. S. 4. Es gelang ein medizinisches Stanzteil und ein wehrtechnisches Aggregat in die Produktion aufzunehmen.)) . Schließlich unternahmen viele Großuhrenfabriken ähnliche Aktivitäten, die Konkurrenz war groß.
Innovative Produkte fehlen
Mit dem Ausbau der elektronischen Fertigung konnte den Umsatzrückgang bei den mechanischen Uhren nicht aufgefangen werden, innovative Produkte fehlten. Schlimm sei, dass die Marktchancen der Mauthe-Produkte sich „wegen des eingetretenen Imageverlustes“ zusätzlich verschlechtert hätten ((a.a.O. Herr Jung sieht eine Verschlechterung der Marktchancen „wegen des eingetretenen Imageverlustes.“)) . Der stellvertretende Geschäftsführer Dipl. Ing. Hanns Frieder Bertsch hoffte darauf 1973 mit einem Quarzwerk auf den Markt zu gehen ((Gesellschafterversammlung v. 11.12.1972 S. 5 „Herr Bertsch erklärt, daß mit der Einführung von Neuentwicklungen durchaus zu rechnen sei, u.a. 1973 mit einem Quarzuhrwerk auf Basis W 80 und 1974 mit einem Werk mit mittelfrequentem Schwingsystem. Im Rahmen der beschränkten Mittel könne allerdings unter der Vielzahl möglicher Entwicklungsrichtungen jeweils nur eine Auswahl getroffen und in Angriff genommen werden.“)) . Die Gesellschafter versuchten dem Unternehmen mit dem Ankauf von Häusern aus dem Besitz der Gesellschaft bei den Liquiditätsengpässen zu helfen ((A.a.O. S. 8)) .
Auch bei einer Liquidation des Unternehmens müsse mit Kosten gerechnet werden, z.B. den Sozialplankosten, weshalb ein kleiner Verlust unter Umständen günstiger sein könnte als eine Liquidation ((A.a.O. S. 15 Herr Bertsch glaubt, die Maßnahmen seit Sommer würden bereits greifen, die überschüssigen Kapazitäten könnten mit elektronischen Weckern ausgelastet werden, und man müsse weiter Personal abbauen. „Zu bedenken ist, dass auch bei einer Liquidation erhebliche Kosten für einen Sozialplan anfallen … sodass selbst ein kleiner Verlust, wenn er in 1973 wider Erwarten auftreten sollte, günstiger wäre als eine Liquidation.“)) .
Mehr als 50 % der Produkte hatten keine Kostendeckung
Der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Heinz Schrade fasste die Argumente der Gesellschafter zusammen:
Kurzfristig seien keine fertigungstechnischen Rationalisierungserfolge möglich, mehr als 50 % der Mauthe-Erzeugnisse hätten keine Kostendeckung, kleine Unternehmen (wie Mauthe) könnten nur mit speziellen Erzeugnissen am Markt bestehen, „mit dem übrigen Uhrenprogramm und der vorhandenen Fertigung bei Mauthe könne jedoch eine positive Ertragslage nicht geschaffen werden.“ Es gebe nur wenig Diversifikationsmöglichkeiten, da freie Kapazitäten in den Unternehmen der Region im Überfluss vorhanden seien, Kooperationen mit Partnerfirmen seien ebenfalls schwierig, da es ein hohes Angebot an kooperationswilligen Firmen gebe, das Kapital um lange Durststrecken zu überstehen sei nicht vorhanden, es gebe außerdem eine Tendenz bei der Konkurrenz „feinmechanische Produktionen“ in „Billigländer“ auszulagern ((A.a.O. S. 6)) .
Dr. Schrade empfahl den Gesellschaftern „die Liquidierung des Unternehmens“, weil „eine klare Konzeption für 1973“ nicht vorliege und die Geschäftsführer mit ihren Konzepten nicht überzeugen konnten. Eine Liquidation sei das Beste, weil ein völlig neues Produkt, das Gewinn bringe, fehle. „Jeder weitere Monat kostet also Geld und engt die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens mehr ein.“ ((A.a.O. S. 16))
Eine endgültige Entscheidung, ob und wie die Firma liquidiert werden sollte, wurde von den Anwesenden auf die nächste Versammlung verschoben.
Soll Mauthe liquidiert werden?
Nachdem das Jahr 1972 wiederum mit einem Verlust abgeschlossen hatte, es gab einen Betriebsverlust von 3,242 Mio DM ((Bericht der Geschäftsführung v. 19.2.1973)) , diskutierten die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung vom 19. Februar 1973 die unterschiedlichen Möglichkeiten einer Liquidation des Unternehmens. Eine sofortige Liquidation des Unternehmens sei mit hohen Kosten verbunden war, weshalb die Entscheidung um weitere drei Monate verschoben wurde. ((Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 19. Februar 1973))
Ein Artikel in der FAZ vom 17.1.1973 über den Wechsel in der Mauthe-Geschäftsführung, der weitere Spekulationen über Mauthe begünstigte, veranlasste die Geschäftsleitung zu einem Aushang, dass die Weckerproduktion nicht eingestellt werde und die Geschäftsführer Eugen Helmut Schreiber und Curt Edgar Schreiber aus Altersgründen und aus gesundheitlichen Gründen von ihrer Position zurückgetreten seien. (( Mauthe-Archiv, Geschäftsunterlagen 1973))
Die Unruhe unter den Beschäftigten nahm zu. In der Aufsichtsratssitzung vom 26.1.1973 warf der Betriebsratsvorsitzende Meinhold der Geschäftsleitung vor, sie verfolge keine klare Linie, in der Aufsichtsratssitzung vom 17.5.1973 kam der Vorwurf, die Geschäftsleitung halte Informationen zurück.
Am 18. 5. 1973 wurde die Betriebskrankenkasse der Fa. Mauthe mit Wirkung vom 30.6.1973 aufgelöst, weil die Mitgliederzahl sich zu Ungunsten der aktiven Beschäftigten verschoben hatte. ((Es gab noch 570 aktive Beschäftigte und 411 Rentner.))
Der Bericht der Geschäftsleitung über die Aussichten des Jahres 1973 ((Bericht der Geschäftsführung für die Gesellschafterversammlung vom 4.6.1973 – Über die Aussichten des Jahres 1973.)) ging von einem Bilanzverlust von 6,366 Mio DM aus. Es gebe durchaus positive Entwicklungen, wie den Lagerabbau, die weitere Personalreduzierung, die Reduzierung des Personalkostenanteils, eine Umsatzsteigerung und einen höheren Auftragseingang.
Schlecht war „die politische und wirtschaftspolitisch Gesamtsituation mit Währungsänderungen, Exporterschwerungen, die Diskontpolitik, die Verteuerung des Geldes, die Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung bzw. deren monatelanger Diskussion, das Stagnieren des Immobilienmarktes.“.
Schlecht war der weitere „Imageverlust unserer Firma bei Kunden, Lieferanten und der Öffentlichkeit, mit den daraus resultierenden Unsicherheiten und Kaufzurückhaltungen“ ((Bericht der Geschäftsführung für die Versammlung vom 4.6.1973 – Über die Aussichten des Jahres 1973. S. II, Anlage zum Protokoll zur Gesellschafterversammlung vom 4. 6. 1973 in Villingen/ Hotel Ketterer)) . Mittlerweile würden einige Lieferanten wegen der Gerüchte nicht mehr ihre günstigen Konditionen gewähren, was die Liquidität des Unternehmens weiter verschlechterte ((A.a.O. S. 4)) .
Angespannte Finanzsitution
Schlecht war „die auf das alleräußerste angespannte Finanzsituation, die Unruhe und das Unbehagen in unserer Belegschaft, nicht zuletzt verursacht durch Presseberichte und – wie anzunehmen aber nicht zu beweisen ist – durch Tätigkeit der Gewerkschaft.“ ((Bericht der Geschäftsführung für die Versammlung vom 4.6.1973 – Über die Aussichten des Jahres 1973. S. II, Anlage zum Protokoll zur Gesellschafterversammlung vom 4. 6. 1973 in Villingen/ Hotel Ketterer))
Die kostenintensive Produktion bei Mauthe wurde mehr und mehr eingeschränkt werden, im Gegenzug wurde das Sortiment mit entsprechender Handelsware ergänzt. Aber auch dies wurde schwieriger „da einige Lieferanten Zurückhaltung üben. Einer sogar will uns nur noch gegen Bankgarantie beliefern“. ((Bericht der Geschäftsführung für die Versammlung vom 4.6.1973 – Über die Aussichten des Jahres 1973. S. II))
Verkaufsverhandlungen scheiterten wegen der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation. Mauthe fehlte ein Experte für Verkaufsverhandlungen. Insgesamt machte man sich wenige Illusionen. Die Erwartungen an den Verkauf müssten in der aktuellen Lage eher niedrig angesetzt werden. ((A.a.O. S. 3))
Die Kreditgrenzen waren ausgeschöpft. Selbst der Verkauf von „nicht betriebsnotwendigem Vermögen“ zur Verbesserung der Liquidität wurde immer schwieriger.
„Der seit zweieinhalb Jahren andauernde und weiter anhaltende Personalabbau“ bewirkte, „dass heute schon mehr verkauft als produziert wird, daher auch der Lagerabbau.“ Es müssten ganz Uhrengruppen aus dem Programm herausgenommen werden. „Hierbei wird es sich sehr wahrscheinlich um mechanische Wecker handeln müssen.“ Wecker würden aber für die Mauthe-Kollektion benötigt, weshalb diese dann vermutlich als Handelsware geführt werden müssten. Ein „volles Großuhrensortiment“ wollte man in jedem Fall erhalten ((Bericht der Geschäftsführung für die Versammlung vom 4.6.1973 – Über die Aussichten des Jahres 1973. S. IV)) . „Hier wäre auch eine mögliche Fertigung mechanischer Wecker in einem Niedriglohnland und die Möglichkeit ihrer Finanzierung zu untersuchen. Auch könnte eine Kooperation mit einem ausländischen Partner in Erwägung gezogen werden.“ ((A.a.O. S.IV)) In Schwenningen könnten dann in Zukunft nur noch die Entwicklung, Arbeitsvorbereitung, Werkzeugbau und Nullserien, Vertrieb, Formgestaltung und Fertigung sperriger Uhren verbleiben, sozusagen als „Dienstleistungszentrum für den Produktionsbetrieb im Ausland“. ((Erläuterungen zur Entstehung der Verluste und Ausblick vom 3.7.1973 S. 2))
Überkapazitäten überall
Eine Beschränkung auf wenige Produkte mit rationeller Massenfertigung hingegen sei wenig sinnvoll, da im Uhrenbereich überall Überkapazitäten vorhanden seien und für Massenfertigung sehr viel Kapital notwendig sei, Kapital, das Mauthe fehlte. ((A.a.O. S. 2 ))
Eine weitere Alternative sei die Abkehr vom Wecker, zu teuren Wohnraumuhren, Quarzuhren etc., was aber eine völlige Umstrukturierung der Firma zu Folge hätte. ((A.a.O. S. 2))
In dieser Situation wurde die Abstimmung in der Geschäftsführung im Juni 1973 immer schwieriger „weil in manchen Fällen Entscheidungen gar nicht zustande“ kämen, „wenn gegensätzliche Meinungen sich nicht rechtzeitig überbrücken“ ließen. Notwendig sei „die Einstellung eines Fachmannes für Sanierung, Abwicklung und Liquidation auf Zeit.“ ((A.a.O. S.V)) Dabei sollte das Ziel verfolgt werden: „Sanierung des Betriebes unter Erhaltung der noch gesunden Teile und Versuch die nicht gewinnträchtigen Fertigungen umzugestalten bzw. stillzulegen unter möglichster Vermeidung der Zahlung von Abfindungen auf Grund eines Sozialplanes.“ ((A.a.O.))
Niemand in der Geschäftsführung glaubte, dass man auch bei günstigster Ausgangssituation, die in den letzten Jahren entstandenen Verluste in weniger als fünf Jahren ausgleichen könnte. Man müsste auf jeden Fall die nicht betriebsnotwendigen Grundstücke verkaufen. ((A.a.O. S. 3))
Es sei die Zeit „wo unbedingt ein Sanierungsfachmann gefunden werden muss, der retten kann, was noch zu retten ist, da die Geschäftsführung für solche jetzt notwendigen Spezialfragen überfordert sei.“ ((Protokoll der Gesellschafterversammlung v. 4.6.1973 im Hotel Ketterer Villingen. S. 2 Aussage Dr. Schrade))