Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Die Uhrenfabrik Mauthe in der Uhrenkrise

geschrieben am: 04.03.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Mauthe in der Uhrenkrise, Uhrenfabrik Mauthe

Das Ende der Hochkonjunktur 1970

1965 feierte die Stadt Schwenningen das Jubiläum 200 Jahre Schwenninger Uhren. Die Probleme der Schwenninger Uhrenindustrie waren bei diesem Ereignis nicht mehr zu ignorieren, wenn sie auch nicht so recht in die allgemeine Jubelstimmung und die Wachstumseuphorie der 60er Jahre passen wollten. Die Betriebe seien vertikal gegliedert, deshalb nicht spezialisiert, hätten ein breites Fertigungsprogramm. Selbst der kleinste Betrieb würde seine Werke selbst herstellen. Schwerpunkt des Fertigungsprogramms sei der Groß- und Reisewecker. Der Standardwecker sei sehr konjunkturempfindlich, weshalb die Unternehmen nach Lösungen suchten, die Absatzprobleme zu überwinden. Devisenschwierigkeiten und Preiskämpfe durch Erzeugnisse der Ostblockstaaten hätten zu einem Exportrückgang geführt.

Kapitalmangel, fehlende Rationalisierung, fehlende Forschung- und Entwicklung

Kapitalmangel, fehlende Rationalisierung, fehlende Forschung- und Entwicklung waren für Dr. Hans Schwenker die Ursache der Probleme. Hans Schwenker war aber trotzdem überzeugt, dass die „Gemeinschaft in der deutschen Uhrenindustrie“ durch „schöpferische Ideen neue Erzeugnisse kreieren“ werde, „die sich in aller Welt besser verkaufen lassen“…. „Die Uhr ist heute für den Menschen ein lebensnotwendiges Erzeugnis, und in der modernen Industrie Gesellschaft gilt dies im besonderen Maße. Der von Land zu Land stark ausdifferenzierte, aber ständig wachsende Lebensstandard hat in den letzten Jahrzehnten den Uhrenkonsum gesteigert und wird ihn noch weiter wachsen lassen.“1

Seit Oktober 1969 gab es erstmals in der Bundesrepublik eine sozialliberale Koalition, die Regierung Brandt/ Scheel. Die Bundesregierung ging für die nächsten Jahre von einem hohen Wirtschaftswachstum aus und leitete viele Sozialreformen ein.2
1970 war ein Jahr der Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung. Löhne und Gehälter stiegen, aber auch die Preise legten zu, trotzdem blieben für die Arbeitnehmer unter dem Strich noch Reallohnzuwächse (8%) übrig.

Die Uhrenindustrie allerdings profitierte weniger von der guten Konjunktur.

Die Absatzkrise der Branche machte sich bei Mauthe bereits in den 60er Jahren bemerkbar und ließ sich nicht aufhalten.

 

Die wirtschaftliche Entwicklung der Uhrenfabrik Mauthe 1962 bis 1972 in TDM

 19621963196419651966196719681969197019711972
1. Verkaufserlöse1642613670160871678717052172401924820666221381796215778
2. Fertigungsma-terial, Handels-waren, Hilfs- u. Betriebsstoffe60545925558161285734596465967644810558496020
3. 2 in % von 136,943,334,836,533,734,634,336,936,632,638,1
4. Löhne und Gehälter6101582862727148779778788559980711251104279829
5. Soziale Abgaben10221006108511871383123615391531161113841320
6. 4 und 57123683473578335918091141009811338128621081111149
7. 6 in % von 143,350,045,849,753,852,852,454,858,165,770,5
8. Abschreibungen828641672734756757563581603508546
9. Vorräte57926452583862046274676065566933786663746188
10. Ergebnis146V 17529V 47V 103V 29026V 39V 141V 3680V 2608
11. Erfgebnis KG. 2232652332531624204V 2V 1
Entwicklung wichtiger Daten der Uhrenfabrik Mauthe (z.B. Personalkosten, Verkaufserlöse, Vorräte, Abschreibungen). Anlage zum Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 4.6.1973 im Hotel Ketterer in Villingen. Erläuterungen zur Entstehung der Verluste und Ausblick vom 3.7.1973

Den zurückgehenden Umsatz an Weckern für den Export versuchte die Firma durch Kooperationen mit anderen Uhrenfirmen aber auch durch Diversifikation, das heißt die Produktion von branchenfremden Produkten aufzufangen. Man begann unrentable Produkte einzustellen und die Kollektion durch den Verkauf von sogenannter Handelsware zu erhalten.
„Im Jahre 1968 entschloss sich die Firma Junghans, ihren Kleinweckerbedarf bei Mauthe zu decken. Der diesbezügliche Umsatz erreichte 1970 rd. 3,5 Mio. DM und von Junghans wurden bis Herbst 1970 noch laufende Produktionserhöhungen gefordert.“3 Junghans stoppte im Herbst 1970 seine Warenannahme wegen der zu hohen Lagerbestände und nahm nur noch 20 % der ursprünglich vereinbarten Menge an Uhren ab, dies führte bei Mauthe zur Entlassung von 29 Arbeitskräften, außerdem wurden in den betroffenen Abteilungen für 13 Wochen Kurzarbeit eingeführt (Vier-Tage-Woche).4

Zum 24.12.1970 annullierte Junghans alle Aufträge.5

Um die durch die Junghans-Absage vollen Lager abzubauen, mussten 20 000 Kleinwecker zu „Notpreisen“ verkauft.
Die Geschäfte liefen schlecht. Mauthe war auf den Junghansauftrag angewiesen. Trotz Umsatzausdehnung war das Unternehmensergebnis 1969 um 2,7 Mio schlechter als im Vorjahr. Die Uhrenproduktion stieg von 1,32 Mio Stück auf 1,63 Mio Stück (23%).6
Die Umsatzsteigerungen des Unternehmens waren allein durch das Inlandsgeschäft zustande gekommen. Das Auslandsgeschäft sei dagegen um 25 % gesunken. Man produzierte außerdem Tonmöbel für die Firma Dual7  und baute eine Kleinmotorenfertigung auf, da mit den Uhren immer weniger Geld zu verdienen war. Die Zahl der Beschäftigten stiegen 1969 letztmals an von 923 auf 936 Personen.

Die Lohnkosten stiegen kräftig. 

Am Markt waren aber wegen der Konkurrenz keine höheren Preise mehr durchsetzbar. Die Personalkosten nahmen 1970 um 14, 5 % zu und betrugen damit mehr als 50 % des Umsatzes. Das Lohnfortzahlungsgesetz und das Vermögensbildungsgesetz zum 1.1.1970 verteuerten die Mautheprodukte um 6 %. Die Kosten dieser sozialen Wohltaten machten nach Ansicht der Geschäftsleitung der Fa. Mauthe Kostensteigerung von 24 % bei den Lohn- und Sozialkosten aus.8
Der fehlende Junghans-Auftrag führte 1971 zu einem Umsatzausfall von 1 Mio DM und einer Erhöhung des Lagerbestandes um 120 %, weshalb die Bankkredite erhöht werden mussten von 1,5 auf 3,3 Mio DM in einem Jahr. Zusätzlich verlor Mauthe 1971 einen ausländischen Großabnehmer von Batteriewerken mit einem Jahresumsatz von ca. 1 Mio DM.
Wegen der Aufwertung der DM und der Preissteigerungen gingen die Exportumsätze nach Skandinavien bei Großweckern und Küchenuhren zurück. Die skandinavischen Kunden bezogen ihre Großuhren nun aus dem Ostblock.

1971 blieb der erwartete Herbstaufschwung aus.

Mauthe verordnete sich einen Einstellungsstopp, drosselte die Produktion und meldete Kurzarbeit an.
Es gelang so die Lagerbestände bis Ende März (1972?) mit ca. 140 000 Stück einigermaßen konstant zu halten. Der Belegschaftsabbau und die Kurzarbeit reichten allerdings nicht aus, die Personalkosten um einen der stark gedrosselten Produktion entsprechenden Betrag zu senken. Vielmehr stieg der Personalkostenanteil bei Mauthe-Produkten weiter. Man wagte nicht, um in Schwenningen nicht noch weiter ins Gerede zu kommen und auch weil man teure Abfindungen für ausscheidende Mitarbeiter vermeiden wollte, notwendige Massenentlassungen durchzusetzen, es kam lediglich in längeren Abständen zu Kündigungen von jeweils 10 bis 30 Arbeitskräften.
Ende April 1972 wurde die Produktion von Groß- und Kleinweckern wieder erhöht, die Produktion damit wieder dem vorhandenen Personal angepasst. Die damit verbundene Erhöhung des Lagebestandes wollte man akzeptieren, weil im Herbst 1972 „ein neuer elektronischer Batteriewecker“ produziert werden sollte.9
Dieser Wecker würde mehr Personal binden, so glaubte man, dann könnte man die aufgestauten Lagerbestände wieder abbauen. Leider verzögerte sich der Beginn der Produktion des Batterieweckers „bis zur Jahreswende 1972/ 73.“ Es kam zur weiteren Erhöhung des Lagerbestandes.
Ein Rückgang der Aufträge bei den Tonmöbeln führte dazu, daß Mitarbeiter nicht mehr ersetzt wurden. Man suchte neue Kooperationspartner um ein gemeinsames Batteriewerk zu entwickeln und stellte die Armbanduhrenfertigung ein. 1970 stagnierten in den wichtigen Exportländern die Geschäfte.10
Aus „Prestigegründen“ stellte die Fa Mauthe 1971 auf der Hannover Messe erstmals auch eine Quarzuhr vor (einen Wand- und Tischuhr), die von einer „Kollegenfirma“ bezogen wurde.11

Der Personalabbau verschlechterte die Stimmung in der Uhrenfabrik Mauthe zusehends.

Im Aufsichtsrat12  stellte der Betriebsratsvorsitzende im Mai 1971 die Frage, warum Neuentwicklungen bei Mauthe solange Zeit brauchten, während andere weniger bekannte Firmen, Neuentwicklungen viel schneller auf den Markt brächten. Bei den Tonmöbeln befürchtete man weitere Absatzeinbußen, weil Holz mehr und mehr von Kunststoff abgelöst wurde.13
In der Aufsichtsratssitzung vom 10. September 1971 wurden erstmals Umsatzrückgänge wegen der DM-Aufwertungen beklagt. Ausländische Produkte würden mit niedrigeren Löhnen hergestellt und würden auch staatlich subventioniert. Der Geschäftsführer C.E. Schreiber stellte fest, dass in der Bundesrepublik die Betriebsleistungen von 1960 bis 1970 um 30 % gestiegen seien, die Personalaufwendungen aber um 200 %. Man rechnete mit keiner Besserung der Situation und suchte weiter14  nach neuen Produkten die vorhandenen Kapazitäten auszulasten.15
Die geplante Kurzarbeit konnten die Mauthe-Beschäftigten noch als eine Art „bezahlten Urlaub“ akzeptieren16 . Sie löste allerdings auch Ängste um den Arbeitsplatz aus. Erstmals im September 1971 gab es in Schwenningen Gerüchte, dass die Anteilseigner die Firma Mauthe verkaufen wollen.
„Herr Meinhold berichtet über die Sorge, die in allen Bereichen der Belegschaft über die Sicherheit der Arbeitsplätze herrsche. Wegen der Personalreduzierungen, der bevorstehenden Kurzarbeit und den Gerüchten über Verkaufsverhandlungen der Firma entstünde der Eindruck, daß die Gesellschafter nicht mehr an der Firma interessiert sind.“ Die Geschäftsleitung wiegelte ab, „daß die weitere Entwicklung im wesentlichen auch von dem Ausgang der Lohn und Gehaltabschlüsse abhänge. Im Übrigen entbehren umlaufende Gerüchte über Verkaufsverhandlungen jeglicher Grundlage.“17

Die Lage auf dem Uhrenmarkt verschlechterte sich weiter.

In Mexiko z.B. waren deutsche Waren wegen der Kosten- und Währungsverhältnisse nicht mehr abzusetzen18 . Die Fertigung musste weiter eingeschränkt werden und es wurde überlegt die dem Personalrat am 31.12.1971 gegebene Zusage, niemanden zu entlassen, zu revidieren19 . Man müsse im Januar mindesten 30 Personen entlassen, um die Produktion dem Absatz anzupassen, insgesamt würden aber 84 Personen zu viel beschäftigt.
Es gab Schuldzuweisungen, wer die desolate Lage zu verantworten habe. Der Betriebsratsvorsitzende sah im Herbst 1972 die Ursachen für die aktuelle Situation bei der Leitung des Unternehmens, die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Betriebsleitung sei unkoordiniert, „die Meister“ könnten „ihre Probleme“ kaum anbringen. Eine straffere Führung im technischen Sektor sei notwendig20 . Wie schwierig es andererseits wieder war Mitarbeiter dazu zu bringen ihre Arbeitsweise zu verändern, darauf wies der stellvertretende Geschäftsführer Dr. Jung hin, „manche Ressorts (seien) durch nichts zu bewegen…, von sich aus Verbesserungen in ihren Arbeiten und damit Kosteneinsparungen in die Tat umzusetzen. Manche kündigen eher, als daß sie sich mit anderen Arbeitsabläufen vertraut machen.“21

Die Uhrenfabrik Mauthe in Schwenningen (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Die Uhrenfabrik Mauthe in Schwenningen (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Die Mitarbeiter befürchteten über Weihnachten eine Betriebsschließung von 6 bis 7 Wochen, das Gerüchte, die Friedrich Mauthe GmbH solle verkauft werden, ließ sich nicht totkriegen.22   Mit den Banken wurde verhandelt, die gestiegenen Bankverpflichtungen über Grundstücksverkäufe zu reduzieren.23

Ist die Firma Mauthe noch zu retten?

Zu den vorgebrachten Verkaufsgerüchten stellte der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Schrade in der Sitzung vom 6. Oktober 1972 nur fest, dass das Gesamtunternehmen derzeit nicht verkaufbar sei, weil sich die Situation der feinmechanischen Fertigungsbetriebe in den letzten zwei bis drei Jahren massiv verschlechtert habe.24
Kaum einer glaubte mehr, dass die Firma Mauthe noch retten sei. Der Antrag des Unternehmens Kurzarbeit über Weihnachten durchzuführen wurde am 13.11.1972 vom Arbeitsamt abgewiesen mit dem Argument, es würden keine Aussichten auf Vollbeschäftigung bestehen, das Arbeitsamt sehe außerdem nicht genügend Anstrengungen bei der Firma Mauthe die Vollbeschäftigung wieder zu erreichen.25

  1. Dr. Hans Schwenker, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Uhrenindustrie, Gegenwart und Zukunft der deutschen Uhrenindustrie. In. Peter Kurz, 200 Jahre Schwenninger Uhren. Schwenningen 1965, S. 280-285 []
  2. Folgende sozialpolitische Gesetze werden bereits 1970 verabschiedet: Dynamisierung sowie Erhöhung der Einkommensgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung auf 1425 DM, Rechtsanspruch auf Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Erhöhung des Wohngeldes und Erweiterung des Berechtigtenkreises, Erhöhung des Kindergeldes (4.11.). Durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen werden die Arbeiter den Angestellten gleichgestellt (1.1.). []
  3. Erläuterungen zur Entstehung der Verluste und Ausblick v. 3.7.1973 S. 7 schlechte Aussichten, Junghans will wegen Absatzschwierigkeiten seine Aufträge um 60 % kürzen bei Klein- und Reiseweckern wegen Absatzschwierigkeiten. Junghans macht 23 % des gesamten Inlandsverkaufs bei Mauthe aus. Die erhöhte Produktion muss deshalb wieder abgebaut werden. Siehe auch Aufsichtsratssitzung der Friedrich Mauthe GmbH v. 29.10.1970 Die Fa. Junghans erklärte, sie habe erhebliche Absatzprobleme weshalb sie die mit mauthe getroffenen Abmachungen nicht mehr einhalten könne und ihre Aufträge um 60 % kürzen wolle. []
  4. Geschäftsbericht 1970 S. 5 []
  5. Geschäftsbericht 1970 S. 2 []
  6. Auf der 65. ordentlichen Gesellschafterversammlung der Friedrich Mauthe GmbH legte die Geschäftsführung den Jahresbericht für das Jahr 1969 vor. []
  7. In den Jahren vorher waren auch Tonmöbel für Saba produziert worden. []
  8. Bericht der Geschäftsleitung v. 29.10.1970- 12.5.1971 S. 1 Es kommen Kosten auf das Unternehmen zu in einer Zeit konjunkturellen Abschwungs, diese kommen durch die Lohnerhöhung seit 1.10 und 1.11.70 wie ,, Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, das Vermögensbildungsgesetz, , der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. 1970 betrug diese Kostensteigerung 24 % bei den Lohn- und Sozialkosten. []
  9. A.a.O. S. 1 []
  10. Geschäftsbericht 1970 S. 5 []
  11. Bericht der Geschäftsleitung v. 12.5.1971 S. 6 []
  12. Aufsichtsratssitzung v. 12.5.1971 []
  13. Aufsichtsratssitzung v. 12.5.1971 S. 5 []
  14. Überlegungen wehrtechnische bzw. medizintechnische Produkte zu produzieren. []
  15. Aufsichtsratssitzung v. 10.9.1971 S. 3 []
  16. A.a.O. S. 4 []
  17. Aufsichtsratssitzung v. 10.9.1971 S. 2 []
  18. Aufsichtsratssitzung v. 6.10.1972 S. 3 []
  19. A.a.O. S. 4 []
  20. A.a.O. S. 6 []
  21. a.a.O. S. 6 []
  22. a.a.O. S. 7 []
  23. a.a.O. S. 8 []
  24. a.a.O. S. 8 []
  25. Schreiben des Arbeitsamts v. 13.11.1972 []

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