Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Die Gesellschafter

geschrieben am: 05.02.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Mauthe-Konkurs, Uhrenfabrik Mauthe
Uhrenfabrik Mauthe Schwenningen (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Uhrenfabrik Mauthe Schwenningen (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Die Interessen der 19 Gesellschafter

Bei einem Konkurs geht es um viel Geld. Unterschiedliche Interessen stoßen aufeinander,die Interessen der Kapitalseite, bei Mauthe die 19 Gesellschafter, die Interessen den Gläubiger, der Banken und Lieferanten, die Interessen der Arbeitnehmer mit ihren Vertretern den Gewerkschaften und die Interessen der Vergleichs- bzw. Konkursverwaltung, hinzukommen die Interessen der Kommune und der Politik
Alle Beteiligten hatten grundsätzlich das Ziel mit möglichst wenig persönlichen Verlusten aus der Situation auszusteigen, den Schaden für sich selbst möglichst klein zu halten. Für die Beschäftigten ging es vor allem um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, was in Zeiten schlechter Konjunktur bzw. in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit ein wesentlicher Gesichtspunkt wurde.
Da sich alle um einen Anteil des gleichen Kuchens stritten, gab es von allen Seiten taktische Manöver die eigene Lage zum Nachteil der anderen Beteiligten zu verbessern.
Der betroffenen Geschäftsführung war es in dieser Situation auch wichtig möglichst wenige Informationen an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Je mehr Informationen nach außen drangen, desto schlechter wurde die Liquiditätslage des Unternehmens, weil die Lieferanten immer weniger bereit waren, noch irgendetwas ohne Vorauskasse zu liefern.

Die Uhrenfabrik Mauthe, gegr. 1845, zählte zu den ältesten Schwenninger Uhrenfabriken. Aus der Familie kamen bedeutende Unternehmerpersönlichkeiten, so der Gründer Friedrich Mauthe (1822-1921), seine Söhne Jakob (1847-1915) und Christian Mauthe (1845-1909), der Enkel Dr. Fritz Mauthe (1875-1951). Die Firma blieb über fünf Generationen in Familienbesitz. Alle Anteilseigner 1975 waren direkte Nachfahren des Firmengründers Friedrich Mauthe. Die Geschäftsführer waren überwiegend Mitglieder der Familie, direkte Nachfahren Friedrich Mauthes oder angeheiratete Schwiegersöhne. Am Ende zählten 19 Personen zum Kreis der Eigentümer, darunter Familienmitglieder, die nur noch wenig mit der Firma verband.

Dr. Fritz Mauthe (1875-1951)

Dr. Fritz Mauthe (1875-1951)

Undurchsichtig erscheint zumindest nach der Quellenlage1 das Taktieren der Gesellschafter, die nach außen über die Zusicherungen an die Geschäftsführung und den Vergleichsverwalter bis in den Juli 1975 hinein die Beteiligten z.B. die Stadt, die Geschäftsführung und die Mitarbeiter von Mauthe glauben ließen, sie seien bereit, die für den Vergleich dringend benötigte Million in das Unternehmen einzubringen2 .
Diese zugesicherte Bereitschaft änderte sich in der Gläubigerversammlungen Mitte August 1975 nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens, als eine Gruppe der Gesellschafter, vertreten durch den Rechtsanwalt Ludger Westrick3 , der Arbeitnehmerseite 1 Million DM für den Sozialplan oder zur Erhaltung der Arbeitsplätze schenken wollte und gleichzeitig beantragte das Konkursverfahren einzuleiten und das Vergleichsverfahren einzustellen. Diese Gesellschafter wollten keinesfalls mehr in „ein Fass ohne Boden“ investieren. Der Westrick-Antrag wurde allerdings vom Gericht abgelehnt nach massiver Überzeugungsarbeit durch die IG Metall..
Die IG Metall wollte die 350 Arbeitsplätze auf jeden Fall erhalten. Die Situation in der Schwenninger Uhrenindustrie sei insgesamt sehr schlecht, da Kienzle-Uhren in den nächsten Monaten ebenfalls 200 Arbeitnehmer entlassen wolle. Die Mauthe-Beschäftigten würden deshalb wohl so schnell keinen neuen Arbeitsplatz bekommen.
Durch den Westrick-Antrag gab es nun zwei sich widersprechende Absichtserklärungen der Eigentümer: Den Gesellschafterbeschluß vom 1. Juli und den Antrag der Westrick-Gruppe in der Gläubigerversammlung Mitte August. Laut Gesellschafterbeschluss sollte das Erbengrundstück verkauft werden und der Erlös dem Unternehmen zugeführt werden, während die Westrick-Gruppe nur eine Million des Erlöses aus dem Grundstück zur Verfügung stellen wollte.4
Erich Mayers, erster Bevollmächtigter der IG Metall, mutmaßte, daß sich die Gesellschafter durch die Westrick-Aktion nur aus ihrer Verantwortung schleichen wollten, ihrer Verantwortung „gegenüber den Arbeitnehmern, ihren Gläubigern, der Stadt, die in einer einmaligen Hilfsaktion über ihre finanzielle Kraft hinaus geholfen hatte, und gegenüber den Einrichtungen der sozialen Sicherheit“ nicht mehr wahrnehmen wollten. Erich Mayer weiter: „Angesichts dieser Tatbestände müsse man fragen, was das Angebot bedeutet, eine Million Mark an die Arbeitnehmer zu schenken, wenn ein Grundstück der Erbengemeinschaft verkauft werden könnte, das angeblich mehrere Millionen Mark bringen soll… Die Gesellschafter sollten ihre wertlosen Anteile und den Erlös des Grundstücks besser in eine Stiftung einbringen, die dann zur Sicherung der Arbeitsplätze verwendet werden könnten.5
In einer Bewertung des Gesellschafterverhaltens kommentierte Klaus Kresse in der Badischen Zeitung. „An den Schalthebeln in der Chefetage saß … ein Management, das nicht imstande war, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Und dieses Management rekrutierte sich aus dem Kreis der Gesellschafter …Kurzum – am zweiten Tag der Gläubigerversammlung sah sich ein Teil der Firmen-Eigner und der Erben bemüßigt durch den Bonner Rechtsanwalt Ludger Westrick einen Antrag zu präsentieren, der geradlinig auf einen Konkurs abzielte… Den Verlust ihrer Arbeitsplätze sollten die Belegschaftsmitglieder mit einem Sozialplan verschmerzen, den die von Westrick vertretene Erben-Gruppe mit einer Million aufzufüllen gedachte. Allerdings war die Million nicht da. Sie sollte erst durch den Verkauf des 1.1 Hektar großen ‚Erbengrundstückes‘ ein gespielt werden. Der Rest des Erlöses sollte den Erben zufließen … das wären mehrere Millionen gewesen.“6 In der Neckarquelle war zu lesen: „Die 19 Gesellschafter wollten eine Million in den Sozialplan fließen lassen, dafür müsse man allerdings den Mauthe-Park verkaufen; die Stadt solle dann dort einen Einkaufsmarkt genehmigen, was diese ablehnt.“7
Auch der stark umstrittene Vergleichs- und Konkursverwalter Prof. Dr. Helmut Fischer gab „den früheren Gesellschaftern … im Nachhinein auch die Hauptschuld am Untergang von Mauthe. Als es 1975 anfangs nur um den Vergleich ging, hatte er die mehr als 20 Teilhaber nach einer eintägigen Sitzung in Bad Dürrheimer Hänslehof dazu bewegen können, eine Million nachzuschießen. Fischer: ‚Damit hätte man die Firma in kleinerem Umfang weiterleben lassen können.‘ Doch niemand aus den Inhaber-Familien zahlte schließlich … Der Konkurs war die Folge.“8

  1. Zeitungsberichte, Gemeinderatsprotokolle und Gesellschafter-Protokolle []
  2. Mauthe-Archiv. Vergleich v. 8.7.1975. Bericht des vorläufigen Vergleichsverwalters S. 14 []
  3. Zur sog. Westrick-Gruppe gehörten anfangs 30% zum Schluss der Versammlung 50 % der Gesellschafter. []
  4. Geschäftsbericht der IG Metall, Verwaltungsstelle Villingen-Schwenningen 1975-77. BZ v. 16.8.1975 []
  5. Geschäftsbericht der IG Metall VS 1975-77, SWP v. 18.8.1975, eingesandter Bericht der IGM. []
  6. Geschäftsbericht der IG Metall, Verwaltungsstelle Villingen-Schwenningen 1975-77 BZ 20.8.1975 []
  7. SAVS 4.9-999, SWP 28.10.75 Stadt: Kein Markt in den Mauthe-Park. []
  8. SAVS 4.9-999. SWP 1.9.1988 Nach 13 Jahren wurden Akten geschlossen. Mauthe-Konkurs: Alle legten drauf. []

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