Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Wirtschaftsforscher rechnen mit Firmensterben im Kleinuhrenbereich

geschrieben am: 04.11.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Marktuntersuchungen

Wie steigert man die Nachfrage, wenn der Markt gesättigt ist?

Das DIVO-Institut untersuchte den Kleinuhren- sowie den Großuhrenmarkt. Bei den Kleinuhren kam das Institut bei der Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit zu folgenden Ergebnissen1 .
Die Produktion stagniere seit 1964.

Sättigungserscheinungen auf dem Kleinuhrenmarkt: Produktion der deutschen Uhrenindustrie 1965-1970 (in Mio. Stück)

JahrKleinuhrenGroßuhrenInsgesamt
19617,624,031,6
19627,023,530,5
19635,920,826,7
19646,924,831,7
19657,525,533,2
19667,125,732,8
19676,927,434,3
19688,531,039,5
19698,336,945,2
19708,240,048,2
Stadtarchiv Villingen-Schwenningen 4.9-864, Dr. Hans Puhl, Bonn: Deutsch-japanische Handelsbeziehungen. In: Gold und Silber Nr. 3 / März 1971 (1970 nur vorläufige Angaben) / Bericht der Hauptversammlung des Verbandes der Schwarzwälder Uhrenindustrie v. 17.3.1967 in Bad Dürrheim, Daten Statist. Landesamt

95 Prozent der Bevölkerung habe bereits eine Armbanduhr, weshalb man kaum mit „einem nennenswerten Wachstum des Uhrenabsatzes in der BRD rechnen“ könne. Zukünftiges Wachstum der Nachfrage könne nur aus dem Ersatzbedarf bzw. aus einer neu zu schaffenden „Zusatznachfrage“ kommen. Dieser Neubedarf machte 1967 13Prozent des Gesamtumsatzes aus2 .
Früher, so das DIVO-Institut, hätten sich die Absatzsteigerungen „fast automatisch aus der permanenten Steigerung der Nachfrage“ ergeben. Für die Steigerung der Nachfrage habe man sich nicht anstrengen müssen, Aktivitäten zur Absatzsteigerung seien deshalb nicht notwendig gewesen. Die Geschäfte der Uhrenindustrie liefen offensichtlich in den Anfangsjahren der Bundesrepublik ohne besondere unternehmerische Leistungen. Diese goldenen Zeiten hatten sich bereits Ende der 50er Jahre eindeutig geändert.
Jetzt müssten die Unternehmen um die ständigen Kostensteigerungen aufzufangen, ihren Absatz entsprechend steigern, was in der Regel Kapital für Rationalisierungsmaßnahmen erfordere, Kapital, das die kleinen eher kapitalschwachen Unternehmen nicht hätten.
Da für die Zukunft mit einer „Marktstagnation“ im Kleinuhrenbereich zu rechnen sei, müssten die Unternehmen alles tun, um die Gesamtnachfrage zu steigern „durch Erhöhung des eigenen Marktanteils, d.h. durch Maßnahmen, die sich gegen die Konkurrenz“ bzw. die Mitbewerber auf dem Markt richteten. Grundsätzlich bedeute eine Erhöhung des Marktanteils einzelner Unternehmen aber eine weitere eher unerwünschte Erhöhung des sowieso schon extrem hohen Preis- und Qualitätswettbewerbs3 . Bei einem solchen Preiswettbewerb aber waren die kleineren Unternehmen wiederum benachteiligt4 .
Eine Steigerung der Nachfrage, so das Institut, könne grundsätzlich auch durch Erhöhung der Ersatznachfrage oder durch Schaffung von Zusatznachfrage erreicht werden5 .
Die Ersatznachfrage lasse sich z.B. durch die Verringerung der Lebensdauer einer Uhr steigern, was Produktion von Billiguhren bzw. von Wegwerfuhren bedeute. Billiguhren aber erforderten vollautomatische Fließbandfertigung, welche für die meisten Kleinunternehmer wegen des hohen Kapitalbedarfs nicht möglich sei.
Das Divo-Institut schätzte, dass bereits 1969 die Gesamtnachfrage zu 50 bis 66 Prozent durch den Ersatzbedarf bestimmt sein würde6 . Einziger Ausweg Schaffung von Zusatznachfrage! Diese verlange von den Firmen Spezialisierung, was auch von kleineren Unternehmen zu bewältigen sei. Für eine Zusatznachfrage müssten aber unter Umständen neue Kaufanreize z.B. über Werbung geschaffen werden. Zusatzbedarf sei außerdem gleichbedeutend mit einem „echten Neubedarf“7 und Zusatzbedarf sei grundsätzlich Luxusbedarf, d.h. jmd. kaufe eine Uhr, obwohl er schon andere Uhren besitze. Bei solchen Käufen sei der Preis weniger entscheidend8 .

Billiguhren aus Fernost

Die Billigkonkurrenz aus Fernost verursachte ein immense Steigerung des Imports von Kleinuhren.

Uhreneinfuhren aus Japan in die Bundesrepublik Deutschland 1952 - 1978

JahrWert der Einfuhren in Mark
1952keine
196025 000 DM
19706 052 000 DM
1978105 951 000 DM
Stadtarchiv Villingen-Schwenningen 4.9-868. Überlegungen des Verbands der deutschen Uhrenindustrie zur Errichtung eines Instituts für Absatzberatung in Japan. 19.6.1979

Das DIVO-Institut stellte dazu fest: „Der Anteil der einfachen Kleinuhren am Gesamtimport nimmt ständig zu. Der Anteil hochwertiger Uhren–vornehmlich aus der Schweiz- nimmt ab.“9 Die Uhrenimporte würden vor allem auf dem Billiguhrenmarkt stattfinden. Der Exklusivmarkt sei immer noch eine deutsche „Domäne“10 . Der auch in Zukunft weiter zunehmende Importdruck könnte auch dazu führen, dass nicht nur die Kleinunternehmen sondern auch deutsche Großunternehmen in den Exklusivuhrenmarkt drängten11 . Die Entwicklung der letzten Jahre zeige zwar eine Steigerung der Produktionsmengen bei Kleinuhren, der Wert der einzelnen Uhr sei aber geringer geworden. Das liege an dem durch die ausländische Konkurrenz gestiegenen Wettbewerb auf dem Deutschen Markt, aber auch an einem durch diese Wettbewerbssituation mit ihrem Preisdruck veränderten Verbraucherverhalten hin zur „einfachen billigen Kleinuhr“ mit einem Preis um 30 DM12 . Gleichzeitig sahen die Wirtschaftsforscher aber auch ein Trend zur Exklusivuhr aus Edelmetall mit Preisen ab 100 DM. Der Marktbereich zwischen 30 und 100 DM falle hingegen zurück13 .
Auf dem Billiguhrenmarkt bestimmten Länder wie Japan, USA und der Ostblock das Geschehen, weshalb sich die deutschen Firmen dem „interessanteren Exklusivmarkt“ zuwenden sollten14 . Auf dem Billiguhrenmarkt könnten sich erfolgreich nur die großen Firmen behaupten, auf dem Exklusivmarkt dagegen hätten auch kleinere Unternehmen eine Chance15 . „So dürfte der Exklusivmarkt für viele mittlere und kleine Uhrenfirmen eine sichere und dauerhafte Existenzgrundlage bilden“16 , folgerten die Wirtschaftsexperten. Die Kleinuhrenhersteller könnten auf diese Weise nach Meinung des DIVO-Instituts sogar noch ihren Export erhöhen.17

Verändertes Käuferverhalten

Das Käuferverhalten habe sich in der Zwischenzeit verändert. Die Kaufentscheidungen würden bewusster18 . „Die großen bekannten Marken“ seien bei Ersatzkäufen im Vorteil und würden einen erheblichen Anteil ihrer bisherigen Kunden behalten. Weniger bekannte „kleine Marken“ würden dagegen von den Kunden nicht als echte Marken wahrgenommen19 . Daraus schloß das DIVO-Institut: „dass das Vordringen des Ersatzbedarfs für die mittleren und kleineren Unternehmen negative Konsequenzen im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit“ in Zukunft bringen werde20 . Die Käufer von Billiguhren hätten nämlich wenig Produktbewusstsein, es würden Marken bevorzugt, für die viel Werbung gemacht werde. Uhren mit „weit verbreiteter Absatzstreuung“ würden bevorzugt. Man kaufe überall im Kaufhaus, am Kiosk und nicht nur im Fachgeschäft. Außerdem sei der Billiguhrenmarkt sehr preisempfindlich.
Der Exklusivmarkt dagegen sei preisunempfindlich. Die Käufer erwarteten Exklusivität des Designs und der Technik. Sie wollten keine Allerweltsmarken am Arm tragen, sondern möglichst eine Schweizer Uhr, die selbstverständlich im Fachgeschäft gekauft würde21 .

Zukunftsaussichten für die Kleinuhrenhersteller

Das DIVO-Institut war überzeugt, „dass es … in der Uhrenindustrie in der Zukunft zu einer verstärkten Anwendung mechanisierter und automatisierter Produktionsmethoden kommen wird, d.h. der Kapitaleinsatz steigen wird. Diesen Tendenzen kann eine kleine oder mittlere Firma zumindest nicht in dem gleichen Umfang folgen wie eine große Firma. Dieser Nachteil dürfte sich allerdings für die kleinen und mittleren Firmen insoweit nicht allzu negativ auswirken, als sie in der Zukunft voraussichtlich überwiegend im Exklusivuhrenmarkt tätig sein werden, ein Markt, der aufgrund seiner Anforderungen mechanisierte und automatisierte Serienproduktion kaum zulässt.“22
Die Bedeutung der Marken für den Uhrenabsatz sei „vergleichsweise gering“23 , so das Divo-Institut. Die Bedeutung der Werbung, schätzte das Institut beim Verbraucher wie beim Handel 1969 als niedrig ein, „dass also ihr Nutzen nicht allzu hoch angesetzt werden sollte. Auf jeden Fall kann man konstatieren, dass der Uhrenmarkt bisher keineswegs ein Markt ist, auf dem nur Firmen mit enorm hoher Werbeintensität Erfolg haben können.“24 Mehr Werbung sei aber durchaus sinnvoll. Dies bewiesen unter anderem die Werbeaktivitäten der amerikanischen Firma Timex und die Markterfolge einer Genossenschaft25 .
Für den Markt von Morgen gelte dagegen: „Man kann davon ausgehen, dass die Werbungsempfindlichkeit bei der heutigen jüngeren Generation größer ist als es früher der Fall war; allerdings gilt diese Feststellung in erster Linie für den Billiguhrenmarkt, weniger dagegen für den Exklusivuhrenmarkt“.26 .
Auf dem Exklusivmarkt seien die Wünsche noch wenig konkret. „Der Prozess der „Exklusivierung“ eines Teiles des Kleinuhrenmarktes steh(e) demnach noch recht am Anfang.“27
Schließlich wiesen die Fachleute darauf hin, „dass das Bedürfnis der Zeitmessung an sich- d.h. ohne nennenswerten Zusatznutzen anderer Art – heute nicht mehr allzu stark als Kaufmotiv für Uhren auftritt: Lediglich bei Ersatz- und Neukäufen ist dieses Motiv vorrangig relevant.“
„Das Streben nach Qualität“ sei auf dem Markt unverkennbar, „aber dieses Streben“ habe sich bisher „offensichtlich noch nicht recht in den tatsächlichen Kaufentschlüssen durchgesetzt oder aber durchsetzen können.“ Standardausführungen hätten auf dem deutschen Markt immer noch ganz erhebliche Marktanteile. Unklar sei aber in diesem Zusammenhang, ob das an den Wünschen der Käufer oder am mangelnden Angebot der deutschen Hersteller liege28 .

Wozu „muss ein Unternehmen fähig sein, will es in Zukunft überleben.“ ?

Bei den Kleinunternehmen im Kleinuhrenbereich sah die DIVO-Studie die Lage als äußerst bedroht an. Es müsse „mit einem Bereinigungsprozess“ gerechnet werden, „mit einem Firmensterben also mit all seinen Konsequenzen.“29
Zur Verbesserung der Situation schlug das DIVO-Institut folgende Maßnahmen vor30 .
• Eine neue Designpolitik, die „neue Varianten“ der Uhr entwickeln.
• Betonung des Modecharakters der Uhr
• Spezialisierung und Konzentration auf wenige Typen
• Kooperation in Vertriebsverbünden.
• Schaffung von Marken.
• Sammeln von betriebswichtigen Daten, damit nicht zu spät bzw. falsch reagiert werde.
Es brauche eine marktorientierte Unternehmensführung, die ganz offensichtlich nicht überall zu finden war: „Grundsätzlich ist zu fordern, dass es zu einer stärker marketing-orientierten Unternehmensführung kommen muss. Das muss auch darin seinen Ausdruck finden, dass in den verschiedenen betrieblichen Bereichen Daten unter Gesichtspunkten ermittelt und verarbeitet werden, die sich aus Marketing-Aspekten ergeben. Das bedeutet z.B. in der Kostenrechnung, dass der Vertriebsabteilung der Kostenpreis eines Produktes auf den verschiedenen Stufen genau bekannt ist; in der Erfolgsrechnung, dass für jedes Produkt der Erfolg bzw. Misserfolg eindeutig festzustellen ist;“
Für die Produktplanung bedeute dies, „dass die dem Markt maximal zumutbaren Lieferfristen definiert sind; in der Personalplanung, dass die qualitativen Anforderungen des Marktes auch hier adäquat berücksichtigt werden“.
„Der Markt und seine Anforderungen und Möglichkeiten“ müsse alle Überlegungen und Planungen bestimmen. „Und jede mittlere und kleine Firma der deutschen Uhrenindustrie muss so organisiert sein, dass sie ständig in der Lage ist, Informationen aus dem Markt über seine Bedingungen, Anforderungen, Tendenzen usw. zu erhalten“, um daraus die notwendigen Entscheidungen zu ziehen und betriebliche Verhaltensänderungen umzusetzen.
Dazu „muss ein Unternehmen fähig sein, will es in Zukunft überleben.“ Der DIVO-Bericht sah gerade im unternehmerischen Bereich eine massive Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Ziel. Es müsse hier Schulungen auf allen Ebenen des Betriebs geben. Betrieblichen Kooperationen unterschiedlichster Art könnten die Probleme lösen, aus eigener Kraft werde dies für viele Kleinunternehmen nicht möglich sein.

  1. SAVS 4.9-449 Positive und negative Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Uhrenindustrie, speziell der mittleren und kleinen Unternehmen dieser Branche – Kleinuhren []
  2. a.a.O. S. 1 []
  3. a.a.O.S. 3 []
  4. a.a.O. S. 4 []
  5. a.a.O. S.2 []
  6. a.a.O.S.5 []
  7. a.a.O.S.9/10 []
  8. a.a.O.S.11 []
  9. a.a.O.S.18 []
  10. a.a.O.S.19 []
  11. a.a.O.S.21 []
  12. a.a.O.S.11 []
  13. A.a.O. S. 12 „Aus den Ergebnissen unserer Untersuchungen lässt sich eindeutig feststellen, dass diese beiden Marktsegmente seit einiger Zeit ständig an Bedeutung gewinnen, während der dazwischen liegende Marktbereich in seiner Entwicklung zurückbleibt.“ []
  14. a.a.O.S.17 []
  15. a.a.O.S.15 []
  16. a.a.O.S.16 []
  17. laut DIVO-Institut hätten die kleinen Unternehmen an den Exportzunahmen der deutschen Uhrenindustrie in den 60er Jahren wenig Anteil gehabt. []
  18. a.a.O. []
  19. a.a.O.S. 7 []
  20. a.a.O.S.8 []
  21. a.a.O.S.13 []
  22. a.a.O.S.23 Kapitalintensität der Produktion []
  23. a.a.O.S.25 []
  24. a.a.O.S.26 []
  25. a.a.O.S.27 []
  26. a.a.O.S.28 []
  27. a.a.O.S.30 []
  28. a.a.O.S.31 []
  29. a.a.O.S.I TeilB []
  30. a.a.O.S.IV []

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