Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Fragen an die Geschichte?

Vorgeschichte

Die Uhrenindustrie entstand seit ca. 1860 in den badischen und württembergischen Schwarzwaldgebieten aus dem Uhrenhandwerk heraus. In der Industrialisierungsphase benötigte die Uhrenindustrie nur wenig Investitionskapital, sie baute vor allem auf dem Wirtschaftsfaktor Arbeit auf. Die Industrie selbst entwickelte sich aus dem althergebrachten „bäuerlichen“ Uhrenhandwerk des Schwarzwalds. Es lassen sich Übergänge vom alten Handwerksbetrieb zur modernen Fabrik für die meisten Gründerunternehmen nachweisen. 1 Mit der  grundsätzlichen Funktionsweise von Uhren war man seit langem vertraut.

Für die Uhren benötigte man nur wenige Rohstoffe, entscheidend war die hohe Fertigungstiefe der Schwarzwälder Produkte.

Arbeitskräfte waren im Schwarzwald reichlich vorhanden, auf Grund der speziellen Situation – nämlich der Verbindung von landwirtschaftlichem Nebenerwerb und industriellem Arbeitseinkommen – konnten die Löhne niedrig sein. In der Gründungsphase der Uhrenindustrie galt es geradezu als Vorteil, dass die Industrie vor allem Arbeit für eine unterbeschäftigte Bevölkerung brachte.2

Strukturwandel

“ Als in den späten 1970er Jahren die Zeit des Nachkriegsbooms abgelaufen war, ging nicht nur eine dreißigjährige Hochkonjunktur zu Ende, sondern auch ein Ordnungsmodell der industriellen Lebenswelt.“3 Mit dem Ende des Wirtschaftswunders gerieten viele alte Industrieregionen der Bundesrepublik Deutschland in Wirtschaftskrisen, viele gewachsene alte Industrien starben, ganze Regionen verödeten industriell. Auch die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg erlebte zwischen 1965 und 2014 eine fundamentale Umwandlung ihrer Industriestruktur.In dieser Zeit musste die  Region mehrere Konjunkturkrisen (1967, 1975, 1982, 1993 etc.)  durchstehen,  viele Arbeitnehmer mehrfach den Verlust des  Arbeitsplatzes aushalten.

Die ehemals vorherrschende  Uhrenindustrie  verschwand nahezu, die Produkte und die Produktionstechnik veränderten sich völlig. Neue Arbeitsplätze im feinwerktechnisch- informationstechnischen Bereich und im Dienstleistungsbereich entstanden.

 

Fragen an die jüngste Geschichte

Trotz der enormen Arbeitsplatzverluste in der Metallindustrie haben die Städte der Region heute eher unterdurchschnittliche Arbeitslosenquoten.

Die ehemals badische-württembergische Uhrenregion des Schwarzwalds ist heute eine dynamische Wirtschaftsregion, die stark von der feinwerktechnischen und elektrotechnischen- und informationstechnischen Industrie (Metallindustrie) geprägt ist.

Insoweit stellt sich die Frage, auf Grund welcher Voraussetzungen es einer Region gelang die Strukturkrise zu überwinden und die regionale Wirtschaft umzubauen.

Die Region war und ist ein bedeutendes Zentrum der feinwerktechnischen Industrie. Sie war und ist sehr stark vom produzierenden Gewerbe bestimmt. Der Sekundärsektor dominiert die Wirtschaft der Region auch heute noch, allerding hat in der Zwischenzeit auch der Dienstleistungssektor stark zugenommen.

Die Risiken des Umbaus der Wirtschaft wurden teilweise von der öffentlichen Hand durch erhebliche Unterstützungsleistungen und Kredite sowie durch ausgehandelte Sozialpläne sozial abgefedert, was aber mit erheblichen Kosten verbunden war.

Der erfolgreiche Umbau der Wirtschaft der Region bedeutete eine Anpassung an die Bedürfnisse der globalen Kunden, eine ständige Anpassung an die ökonomische Effizienz, eine Betonung der Qualität deutscher Produkte auf dem Weltmarkt, um die immer noch vergleichsweise hohen Kosten zu rechtfertigen.

Basis der heimischen Industrie blieb das regional breit verankerte feinwerktechnische Wissen ergänzt durch die neuen Technologien der Mikroprozessortechnik und der Informationstechnik, aber auch durch die neue Qualitätstechnik und moderne Betriebsorganisationen.

Bedeutend waren in diesem Zusammenhang die Anstrengungen in Bildung und Wissenschaft. Wie der Ausbau der Fachhochschule Furtwangen, die Schaffung einer dualen Hochschule und die Einrichtung des Mikroinstituts.

Für die Unternehmen der Region blieb das Modell des mittelständischen inhabergeführten Unternehmens weiterhin wichtig. Die Fusionen mit großen Konzernen waren häufig weniger erfolgreich.

Heute hängt die Industrie stark vom Zulieferbedarf der Autoindustrie ab, ein Sachverhalt, der natürlich auch Risiken in sich birgt.

Da der geglückte wirtschaftliche Umbau einer Industrieregion nicht selbstverständlich ist, wie viele Beispiele anderer Regionen zeigen, sollen folgende Fragen untersucht werden,

  • welche wirtschaftlichen und sozialen Krisenfälle fanden in der Region im Einzelnen statt?
  • welche Voraussetzungen lösten die heftigen Krisenerscheinungen aus?
  • welche Lösungsansätze wurden in den verschiedenen Krisensituationen vorgeschlagen und angewandt?
  • welche  Entwicklungen führten schließlich zur Überwindung von Krisenerscheinungen?

Trotz der Überwindung der Strukturkrise hinterließ der Zusammenbruch der Traditionsindustrien mit dem Ende des Wirtschaftswunders bei der Bevölkerung eine Unsicherheit in Bezug auf den industriellen Fortschritt (lebenslange Arbeitsplätze gibt es kaum noch).

Aus diesen Entwicklungen resultieren folgende Fragen:

  • Wie erlebte der einzelne die Veränderungen seiner Arbeitsbiographie?
  • Welche Veränderungen brachte dies für die Familien der Arbeitnehmer?
  • Wie veränderte sich dadurch die Einstellung zur Arbeit und zum Beruf?
  • Welche Rolle musste die öffentliche Hand (Land und Gemeinde) übernehmen ?
  • Welche Folgen hatte die Strukturkrise für die Landes- und die Kommunalpolitik?

Ziele:

Der Strukturwandel der 70er Jahre ist vielen noch in Erinnerung. Der Verlust des Arbeitsplatzes war oft eine traumatische Erfahrungen. Bis dahin für sicher gehaltene Lebensverhältnisse waren ins Rutschen geraten. Die alten persönlichen Arbeitgeber- Arbeitnehmerbeziehungen veränderten sich. Das Wachstum hatte ein Ende und dies geschah, obwohl bis in die 60er Jahre hinein das Wachstum und der Erfolg der deutschen Wirtschaft vielen in der Region als eine immerwährende auf Dauer angelegte Entwicklung erschien. 20 Jahre Wirtschaftswunder  hatten ein Vertrauen in die Entwicklung der Verhältnisse entstehen lassen, das jetzt plötzlich nicht mehr gerechtfertigt erschien.

20 Jahre Wirtschaftswunder hatte auch eine Hoffnung entstehen lassen, dass der Wohlstand gerechter zwischen den Sozialpartnern verteilt würde und weiter so verteilt werden würde.

Überlieferte Geschichtsbilder beeinflussen unsere Wahrnehmung der Gegenwart. Oft sind einfache Muster gefragt, die einfache Schuldzuweisungen  ermöglichen, die aber nicht in der Lage sind die Abhängigkeiten,  in denen unser Wohlstand entsteht,  zu erklären.

Die Komplexität unserer regionalen Lebensverhältnisse etwas durchschaubarer machen, aber auch die Grundlagen der wirtschaftlichen Dynamik dieser Region deutlich zu machen, dazu soll dieser Weblog dienen.

  1. Boelke, Willi A.: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S.129 „In größerem Maße … ergänzte sich das frühe Unternehmertum aus der gewerblichen Mittelschicht, dem Kleinbürgertum, das in seiner Masse von der Handwerkerschaft in Stadt und Land repräsentiert wurde… Viel Kapital war nicht vorhanden; das Geschäft wurde gewöhnlich vom Vater ererbt oder durch Heirat erworben. Eine aus dem Jahre 1947 stammende, sicher mit manchen Unvollständigkeiten behaftete Firmenerhebung (WA Hohenheim) überlieferte für die Kammerbezirke Rottweil und Villingen 49 Industriebetriebe (einschließlich Brauereien), die ihre Gründung in die Zeit von 1800 bis 1850 zurückschrieben, doch waren 38 dieser Unternehmen (= 77,5%) ihrem Ursprung nach als Handwerksbetrieb einzustufen, die sich erst im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und später zu Industriebetrieben mauserten (viele Uhrenfabriken darunter).“ []
  2. Mit der Geschichte der Schwarzwälder Uhrenindustrie, vor allem mit der Produktionstechnik und ihren Produkten, befasst sich das Uhrenindustriemuseum in Villingen-Schwenningen. []
  3. Anselm Doering-Manteuffel/ Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. 3., ergänzte Auflage.Göttingen 2012, S.33 []
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