Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Die SABA – technologisch fortschrittlich – wird an Thomson verkauft

geschrieben am: 29.02.2016 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Die SABA

Trotz Kurzarbeit 1975 begann man mit Investitionen und der Modernisierung der Arbeitsplätze.

Saba - Leiterplattenbestückung 70er Jahre (Bild: W. Richter)

Saba – Leiterplattenbestückung 70er Jahre (Bild: W. Richter)

Der Südkurier sprach von einem „Schritt zu humanerer Arbeitswelt“ und titelte „Die Diktatur des Fließbandes verschwindet.“1 „Insgesamt seien pro Arbeitsplatz 12 000 DM investiert worden.“ Man habe Gruppenarbeitsplätze eingerichtet. „Früher saßen bis zu 60 Frauen und Männer an einem Fließband, das ihnen den Arbeitsrhythmus aufgezwungen hat. Heute arbeiten die Frauen in der Plattenbestückerei beispielsweise in Achtergruppen, den Arbeitsrhythmus bestimmen sie selbst, das Transportband geht erst weiter, wenn die Arbeit verrichtet ist.“ Anregungen holte sich die SABA beim schwedischen Autobauer Volvo und bei Klöckner. „Gleichzeitig mit der Umstellung auf neue Gerätefamilien und neue Techniken konnte die Änderung eingeführt werden. Dabei sind beispielsweise die Arbeitsplätze an den Menschen angepasst worden.“ Dies erreichte man durch Einrichtung von Steh-Sitzplätzen zum Bewegungsausgleich, durch geeignete Sitzstühle, den Abbau der Lärmbelästigung in den Fertigungsstätte [durch Akustikrollen an den Decken], die Schaffung einer freundlichen Umwelt (Farben, Grünpflanzen), durch bessere Beleuchtung und arbeitsphysiologisch sinnvolle Entfernungen der Materialien zum Arbeitsplatz. Stolz wurde festgestellt „Bei uns wird kein Fernsehgerät mehr getragen.“ Der Nutzen sei nach Angaben der Unternehmensleitung beträchtlich. „Abgesehen vom besseren Arbeitsklima sei die Produktqualität … wesentlich verbessert worden, die Fehlerquote ist von 21 auf drei Prozent gesunken, das Arbeitsinteresse sei größer geworden, die Fluktuation geringer, jeder könne seinen Verdienst persönlich gestalten.“ Außerdem wurde dadurch auch noch ein „wesentlich höherer Auslastungsgrad [der teuren Anlagen] erreicht.“
Die SABA galt als technologisch hochmodern, das erfüllte auch die Mitarbeiter mit Stolz. Die Lehrlinge erhielten eine hervorragende Ausbildung und man hat im Vergleich zu den vielen kleinen Firmen gut Löhne bezahlt.2

Die Saba – zwischen den Multis herumgeschoben
Nach einer Erholungsphase in den späten 70er Jahren ging der Verdrängungswettbewerb in der Radio- und Fernsehindustrie weiter. Die Fernsehgeräteproduktion in Villingen rechnete sich für die Amerikaner nicht mehr.

Besuch von Mr. Vanderslice (GTE) im Hause Saba am 4. Februar 1980 (Bild: W. Richter)

Besuch von Mr. Vanderslice (GTE) im Hause Saba am 4. Februar 1980, rechts außen Hermann Mössner (Bild: W. Richter)

Im Südkurier war zu lesen: „Zwölf Jahre, nachdem der amerikanische Konzern GTE die Saba am 26. Januar 1968 von der Familie Brunner-Schwer gekauft hat, möchten die Amerikaner sich offenbar von der Saba … wieder trennen. Die seit Monaten umlaufenden Gerüchte verdichteten sich … soweit, dass die Belegschaft am Montagnachmittag über Werkfunk von den Vertragsverhandlungen informiert wurde. Wie eine Presseerklärung der GTE zu entnehmen ist, erwägt der Konzern ‚ein sehr ernsthaftes Angebot‘ des französischen Elektro-Konzerns Thomson- Brandt, der bereits 1978 bei Nordmende (Bremen) eingestiegen ist…. Der potentielle Käufer, die Thomson-Brandt-Gruppe, ist das zweitgrößte Elektrounternehmen Frankreichs. Es machte im ersten Halbjahr 1979 einen Umsatz von 13 Milliarden Francs. Der Gewinn 1978 lag bei 46,7 Millionen DM. In der Branche erwartet man für Thomson-Brandt auch im Jahr 1980 eine positive Ertragsentwicklung.“3
In dem Besitzwechsel sah man in Villingen nichts Gutes. Hatte doch Thomson Brandt bei der Übernahme von Nordmende umgehend „mehrere hundert Arbeitsplätze wegrationalisiert“.4 Der Betriebsrat lief Sturm gegen diese Verkaufspläne. Man fürchtete in Villingen um 3000 Arbeitsplätze.5

„Angst kann man schon haben“
Die badischen Zeitung machte eine Umfrage vor den Werkstoren6 : „Angst kann man schon haben‘, meinte … ein seit vielen Jahren in der Entwicklungsabteilung beschäftigter Sabanese. ‚Aber verhindern kann man sowas nicht‘, … denn ‚die Macht liegt beim Kapital‘ und auch Regierungen und Gesetzgeber schöben den Firmen-Transaktionen, die über die Köpfe der Beschäftigten hinweg passieren, keinen Riegel vor. ‚Die wollen wegrationalisieren, wie bei Nordmende auch‘, meinte ein Ehepaar – beide seit rund 20 Jahren bei Saba beschäftigt -, das es im übrigen nicht für richtig hält, dass Betriebe einfach zwischen den Multis ‚rumgeschoben‘ werden.“
Bei der Saba fand am 27. März 1980 eine „turbulente Betriebsversammlung“ statt7 . Die Nachricht vom Verkauf der SABA durch den GTE-Konzern an Thomson Brandt war offensichtlich für die Beteiligten völlig überraschend.
„Neben der heimischen Geschäftsführung mit Hermann Mössner an der Spitze waren auch aus den USA Topmanager der GTE mit ihren Anwälten in den ‚black forest‘ gekommen, um Rede und Antwort zu stehen… Mössner berichtete von seiner ‚Blitzreise‘ am Dienstag vergangener Woche in die USA zu GTE. Bei den Gesprächen sei er erstmals umfassend über die Absichten der Saba-Muttergesellschaft informiert worden. (Seit 1974 wurden mit Unterbrechungen Verhandlungen über den Verkauf der Saba geführt.)… Warum die Verhandlungen über die Köpfe der deutschen Geschäftsführung hinweg geführt wurden und weshalb alles so heimlich geschehen sei, das waren immer wieder gestellte Fragen … Das GTE- und das Saba-Management erklärten… ‚dass langfristig gesehen ein Unternehmen der Unterhaltungselektronik nur noch in einem starken Verbund, dessen Interessen weltweit abgesteckt seien, existieren könne, wobei die hohen finanziellen Anforderungen für die immer notwendiger werdenden Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte und in die Fertigungstechniken sichergestellt werden.“ Hermann Mössner erklärte, „dass die GTE in den letzten Jahren ihre Prioritäten neu bestimmt habe. Da das Geschäft im Nachrichtensektor besonders erfolgreich sei.“ Weshalb man sich auf diesen Geschäftszweig konzentrieren wolle. „Andererseits würde Saba mit seiner hervorragenden Marktposition für Thomson-Brandt eine Schlüsselrolle im Wettbewerb der ‚Herstellerblöcke‘ in Europa spielen.“
Da die anwesenden amerikanischen Manager englisch redeten, gab sich ein italienischer Mitarbeiter „eine Ruck“ und forderte die die GTE-Managern auf: „Wir sind hier in Deutschland, sprechen Sie bitte Deutsch!“ Worauf die Antworten der Amerikaner übersetzt wurden.8

„GTE will uns vergesse, Thomson will uns fresse!“
Nach der Betriebsversammlung am 27. März 1980 trugen die Mitarbeiter in einem spontanen Protestmarsch Protestplakate über das Firmengelände9 , die folgende Aufschriften trugen: „Wir sind noch nicht am Ende. Saba ist nicht Nordmende“ oder „GTE will uns vergesse, Thomson will uns fresse!“ – „Bisher haben wir für euch geschuftet, jetzt haut ihr ab und verduftet.“ oder „wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze!“
Die Saba-Mitarbeiter wurden bei Ihren Aktionen von den Kienzle-Apparate- Mitarbeitern solidarisch durch eine Resolution unterstützt.
In der Resolution heißt es: „Das Villinger Traditionsunternehmen Saba steht zum Verkauf mit Aktiva und Passiva, mit Fabriken und Vertriebsorganisation, mit Mann und Maus, mit Kopf und Kragen. Die Verantwortlichen des GTE-Konzerns, die zugegebenermaßen seit mehr als einem Jahr fest zum Verkauf entschlossen waren, haben es eilig, sich von einem uninteressant gewordenen Titel ihres Portefeuilles zu trennen. Sie hatten es nicht so eilig, die Belegschaft zu informieren, die Menschen, die nun zur Handelsware werden. Entlassungen können, so der Aufsichtsratsvorsitzende, nicht ausgeschlossen werden.
Ein solcher Vorgang macht alle Arbeitnehmer der Region betroffen, die seit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 darauf vertrauten, die Zeit des Heuerns und Feuerns sei in unserem Lande vorüber, die glauben mochten, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechte gälten auch für Tochterunternehmen US-amerikanischer Konzerne, wenn sie bei uns wirtschaftlich tätig sind – das Grundgesetz, das die Würde des Menschen für unantastbar erklärt und auch das wirtschaftliche Eigentum sozial verpflichtet.
Das Wohlergehen unserer Region ist durch diese Nacht- und Nebelaktion in Gefahr. Der Betriebsrat der Firma Kienzle-Apparate ruft alle, die wirtschaftliche und politische Verantwortung tragen, dazu auf, die weitere Existenz des Unternehmens und die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen bei Saba zu sichern.
Unser Appell richtet sich insbesondere an die Verantwortlichen bei GTE selbst. Sie haben einen persönlichen Ruf zu verlieren, sie tragen aber auch als wirtschaftliche Botschafter der westlichen Führungsmacht ihren Teil Verantwortung, wenn die Vereinigten Staaten als Partner fragwürdig werden. Die Unterschrift unter den Kaufvertrag mag sie von finanziellen Verpflichtungen der Saba entbinden- sie entbindet nicht von der Verantwortung, für die Zukunft der Menschen vorzusorgen, die bei Saba arbeiten…
Wir versichern die Kolleginnen und Kollegen in allen Werken der Saba der Unterstützung und der Solidarität von Belegschaft und Betriebsrat der Kienzle-Apparate GmbH im Kampf um ihre Arbeitsplätze.“10

Am Karfreitag 1980 wurde der Kaufvertrag in Paris unterschrieben.11
Und im Juni bereits stand in der Badischen Zeitung, dass 440 Sabanesen – darunter 190 Villinger – entlassen werden12 . Die Hi-Fi-Produktion in Friedrichshafen wurde stillgelegt13 und nach Fernost verlagert.
Im Juli stimmte das Kartellamt dem Sabaverkauf wegen des Auslaufens des Pal-Patentes zu.14 Und im August bestätigte der Schwarzwälder Bote den Verkauf der Saba an Thomson Brandt für 500 Millionen Mark15 , außerdem stand der Sozialplan für die 120 bis 150 Entlassungen16 fest. Die Entlassungen wurden mit dem steigenden Kostendruck17 und der Verlagerung der Produktion in den kostengünstigen Fernen Osten begründet18 . Bereits im Dezember 1980 wurden für das nächste Jahr von Thomson weitere 100 Entlassungen angekündigt19 .

  1. SK 25.6.1975 Schritt zu humanerer Arbeitswelt. SABA: die Diktatur des Fließbandes verschwindet. []
  2. Interview mit Franz Ritter v. 25.9.2015 []
  3. SK v. 25.3.1980.Verkaufen die Amerikaner die Saba an Franzosen? []
  4. Schwabo 25.3.1980, GTE will Saba an die Franzosen verkaufen. []
  5. BZ 26.3.1980 Betriebsrat läuft Sturm gegen Saba-Verkauf. Sämtliche 5000 Arbeitsplätze in Gefahr? []
  6. BZ-Umfrage vor den Saba-Werkstoren. (BZ 28.3.1975). []
  7. BZ 28.3.1980 []
  8. Schwabo 28.3.1980 Zur Betriebsversammlung in den Villinger Sabawerken am 27.3.1980 []
  9. BZ 28.3.1980 []
  10. Schwabo 29./30. 3. 1980 []
  11. SWP 9.4.1980 SABA-Verkauf ist jetzt besiegelt. Sorge um rund 1000 Arbeitsplätze in Friedrichshafen. (Die französischen Regierung und das deutsche Kartellamt müssen noch zustimmen.) . []
  12. BZ 11.6.1980 Die Lunte für die Bombe war schon längst gelegt []
  13. A.a.O. und Schwabo 12.6.1980. „Der Betriebsrat wird keiner Kündigung zustimmen, bevor die Geschäftsführung dem Betriebsrat eine Gesamtkonzeption der Personalentwicklung unter Abstimmung mit der Firma Thomson-Brandt für die nächsten drei Jahre vorlegt.“ []
  14. Schwabo 18.7.1980 Kartellamt stimmt dem Saba-Verkauf zu, weil damit zu rechnen sei, dass wegen des Auslaufens des Pal-Patentes die Japaner auf den deutschen Markt drängen. []
  15. Schwabo 29.8.1980. Saba für 500 Millionen verkauft. „Thomson Brandt wird durch die Übernahme von Saba zum zweitgrößten Fernsehgerätehersteller von Deutschland…. Bereits Mitte Juli 1980 hatte das Bundeskartellamt in Berlin den Übergang von Saba an Thomson-Brandt genehmigt. Der französische Konzern ist bereits Eigentümer des Fernsehgeräteherstellers Nordmende (Bremen) und ist außerdem zur Hälfte an der ehemaligen AEG-Telefunken-Farbbildröhren-Produktion in Ulm beteiligt… In Friedrichshafen werden etwa 250 und in Villingen 190 Mitarbeiter nicht mehr weiterbeschäftigt… Der Saba-Umsatz lag 1978 in der Größenordnung von über 800 Millionen Mark.“ []
  16. Schwabo 20./21. 9. 1980 Der Saba-Sozialplan steht: 120 bis 150 Entlassungen! []
  17. Interview mit Wilfried Richter v. 3.9.2015. Man hat sich gewundert, warum die Japaner damals so billig waren. Der Lohnanteil bei den Fernsehgeräten war in Europa wesentlich höher als in Japan. Ich erinnere mich, das waren 8 bis 9 Stunden Differenz bei der Herstellung eines Fernsehgeräts, was die Japaner schneller waren. Dann kann man sich leicht ausrechnen, wenn die Japaner 8 Stunden weniger brauchen bei niedrigeren Löhnen, dass die europäischen Hersteller Probleme hatten. []
  18. Schwabo 11.11.1980. Saba macht das Werk in Friedrichshafen dicht. Rund 660 Arbeitsplatze werden verlorengehen/ Kostendruck wuchs….Saba-Pressesprecher H.-J. Runge gestern…: ‚Auf Grund steigender Kosten bei sinkenden Marktpreisen und ausgebliebenen Export-Anschlussaufträgen bleibt uns gar keine andere Wahl. ‘ … Wie andere deutsche Hersteller auch, wird der Schwarzwälder Traditionsbetrieb – eine 100prozentige Thomson-Tochter – künftig im fernen Osten produzieren lassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ []
  19. BZ 9.12.1980 Hardy Pulina: Entlassungen und Schichtarbeit bei Saba. 100 qualifizierte Leute müssen 1981 gehen – Doppelschicht für 200- Trennung in Saba GmbH und Schwarzwälder Elektronik Werke GmbH []
a woertman am 28. Dezember 2016 um 23:16 Uhr

Ich habe mehr als 40 Jahre als Fachhändler Saba-Geräte verkauft und repariert..Bis in die Jahre 80 waren die Radios und Fernseher einmalige Spitze…
Noch immer arbeite ich an dem alten Kram mit Vergnügen…Heute noch einen Schwarz/Weiss repariert…ein echter Saba aus Villingen. Die Franzosen haben vieles kaputt gemacht…Aber…die Deutschen..waren zu verwöhnt geworden….zu hohe Gehälter…zu viele Urlaubstage…mit Weihnachten wieder Urlaub…usw…m.fr.gr.

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