Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Kiss Kiss: Ein mutiger Manager setzte alles auf eine Karte?

geschrieben am: 03.09.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Kiss Kiss-Projekt, Uhrenfabrik Mauthe

Voraussetzung für die neue Ausrichtung der Firma Mauthe war eine neue modernere Unternehmenskonzeption, die die GfU des Dieter Reiber verordnete. Der Produktionsbereich wurde gestrafft und sollte sich nur noch auf wenige „rentabel zu produzierende Modelle konzentrieren“.

Das „neu entwickelte P 13-Produkt“ musste zur Realisierung gebracht, in den Markt eingeführt und in Massenproduktion hergestellt werden bis zum Herbst 1974. Weitere Pläne waren  ab 1975 neue Großuhrensortimente und ab 1976 zusätzliche Neuentwicklungen.

Dieter Reiber suchte den engeren Kontakt zu den Einzelhändlern und wollte dafür die Vertreterorganisation für den Einzelhandel ausbauen, Mauthe sollte sich auf einige leistungsfähige Grossisten  konzentrieren und das Geschäft mit den Warenhäusern und dem Versandhandel forcieren. Viel mehr Engagement sollte in die Werbung fließen.1

Die Unternehmensbereiche: Uhren, Kleinmotoren, Holzgehäuse und Vertrieb wurden organisatorisch getrennt.2

Außerdem wurde das Engagement Dieter Reibers  zeitlich begrenzt. Es sollte  vom 1.4.74 bis 31.12.75 dauern.3

Ende 1973 erst war die Idee des Kissenweckers entstanden, wenn man bereits das Weihnachtsgeschäft 1974 mitnehmen wollte,  mussten sich die „Mautheaner“ beeilen. Im Mai wurden die zu fertigenden Designs endgültig festgelegt, am 13. Juni 74 begann bei Junghans, dort wurden die elektronischen Weckerwerke eingekauft,  die Produktion der Elektronik-Werke, am 1. Juli 74 startete bei Mauthe die Werkfertigung.

Einführung einer modernen Informations- und Vertriebspolitik

Am 30. Mai 1974 hatte man sich zum Ziel gesetzt in der Zeit vom 1.10.74 bis zum 31.12.74  – 90 000 batteriebetriebene und 50 000 mechanische Kissenwecker zu verkaufen.4

Dafür musste das Mauthe-Image beim Handel, bei den Wettbewerbern und in der Presse entscheidend verbessert werden. Alle „mittelbar und unmittelbar Beteiligten – Mitarbeiter, Gesellschafter, Bürger“ sollten für die Mauthe Kissen-Idee begeistert werden.5 Man wollte „den Wechsel von hergebrachten Standpunkten im Bereich der Vertriebs- und Preispolitik – das war immer so- einleiten.“6

Die Vertriebspolitik sollte sich ändern.  Mauthe wollte sich auf den Uhrenfachhandel, die Fachgeschäfte und die Fachabteilungen der Warenhäuser konzentrieren, sowie den Versandhandel. Der Großhandelsanteil dagegen sollte  durch „systematische Erweiterung des Außendienstes“ reduziert werden.

Alle Beteiligten mussten für die bevorstehenden Kampagnen möglichst umfassend informiert werden. Am 9.Semptember 74 fand die Gesellschafterversammlung statt, am 10.bis 12.September die ADM7 -Konferenzen, am 17. die Betriebsversammlung, am 18. die Pressekonferenz und am 19.September begannen die Händlertage.

Geplant wurden  „massive Werbung und Verkaufsförderungskampagnen: Händlermeetings, Wettbewerbe, Deko-Pakete, Werbung in der Fachhandelspresse, Promotionaktionen, Publikumswerbung mit großer Reichweite in den Zeitschriften Stern, Quick, Neue Revue, TV-Hören und Sehen und PR-Kampagnen in Zeitschriften, Tageszeitungen,  in der Wirtschaftspresse und den Handelsblättern. Vorlagen für Verkaufsgespräche wurden entwickelt, Verkaufsunterlagen bereitgestellt, wie Präsentationskoffer, Handbücher, Prospekte, Dekopakete, Auftragsformulare, Tagesberichte, Info-Blätter.

Im November 1974 wurden bundesweite Promotionaktionen  durchgeführt im Kaufhof, bei Karstadt, Hertie und Horten, in vielen deutschen Großstädten zwischen Berlin, Hamburg, Stuttgart und München.

Am 18. September wurde der Vorhang gelüftet

Das neue Produkt und die Unternehmenskonzeption des Dieter Reiber wurde bereits im Vorfeld, ohne dass irgendetwas genaues an der Öffentlichkeit bekannt war, hochgelobt, selbst die FAZ schrieb im August 19748 „Während die Firma Kienzle … 180 Mitarbeiter im Verlauf eines Jahres entlassen und zwei Wochen Kurzarbeit einlegen will, hat die … Uhrenfabrik Friedrich Mauthe GmbH Neueinstellungen geplant, um Mitte September ein neues Produkt auf den Markt zu bringen… Wie zu erfahren war, soll die Zahl von 400 Mitarbeitern möglichst rasch durch Fachkräfte aufgestockt werden, die es im Schwarzwald durch die Entlassungen von mehr als 700 Mitarbeitern bei Kaiser-Uhren in Villingen und durch ‚Umstrukturierungen‘ bei Kienzle in Schwenningen und bei Junghans in Schramberg in genügender Zahl gibt.

Dieter Reiber …hat.. als Mitglied der Geschäftsleitung ‚auf Zeit‘ ein Konzept entworfen, das der Firma einen neuen Führungsstil brachte und zum Ziel hat, das Unternehmen nach Methoden des modernen Marketings zu leiten. .. Bei der Firma Kienzle-Uhren werden die Mauthe-Aktivitäten mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet. Ob man auch bei Kienzle neue Management-Wege beabsichtigt … weiß niemand zu sagen.“

Am 18. September wurde das neue Produkt in Schwenningen im Beethovenhaus vorgestellt.9

Vortrag bei der Premiere des Kiss Kiss

Vortrag bei der Premiere des Kiss Kiss

Dr. Jürgen Jung und Dieter Reiber stellten das neue unbekannte Produkt P 13  vor,  P 13 deshalb weil bei Mauthe zum ersten Mal am 13. November 1973 „die Aufgabenstellung für die Zukunft gestellt wurde.“ Und „weil am 13. Dezember die Idee auf dem Tisch lag“ mit ‚Warenzeichen, Muster und Werbevorschlägen. Eine Tonbildschau folgte  mit der bereits bekannten PR-Story, der  morgendlichen „Wecksituation“ und dem Versprechen, die Situation durch den Kissenwecker zu verbessern. Zum Schluss gab es noch für die anwesenden ein Schwärzwälder Vesper.10

Präsentation der Kiss KIss-Wecker bei der Premiere in Schwenningen

Präsentation der Kiss Kiss-Weckers bei der Premiere in Schwenningen

Dr. Gebauer bewundert das neue Produkt

Dr. Gebauer bewundert das neue Produkt

„Der Aufgabenkatalog an die Marketing-Strategen sei, erläuterte Dieter Reiber bei dieser Premiere vor Handel, Industrie, Geschäftsfreunden und  Vertretern der Verwaltung, knapp und unzweideutig gewesen. Mauthe brauchte zunächst für den großen Weckermarkt im In- und Ausland neue Uhren, die einen „bisher noch nicht erkannten Zusatznutzen erfüllen, mit keinem der auf dem Markt befindlichem Produkt vergleichbar sind, eine breite Akzeptanz haben und als verbraucherorientierte Markenartikel überregional umworben werden können.“11

Er war davon überzeugt, dass man mit dem neuen Produkt den bei Mauthe verbliebenen „470 Beschäftigten auf Grund der Neuheit auch für 1975  Vollbeschäftigung“ garantieren könne.“    12  Jeder der Versammelten im Beethovenhaus hörte diese Botschaft nur allzu gerne, nach all den Massenentlassungen, von denen man täglich in er Presse lesen konnte. Jeder im Saal war nur allzu gerne bereit, der Botschaft des Dieter Reiber Glauben zu schenken.

Mauthe setzte alles auf eine Karte

Die Stuttgarter Zeitung kommentierte: Mauthe habe „ fünf Millionen DM in das neue Weckerprodukt investiert. Das bedeute, „dass die Firma, die die ‚überdurchschnittliche Expansion mit besonderer Sorgfalt plant‘, alles auf eine Karte setzt.“13

Bei Mauthe hofft man mit dem Kiss Kiss, dem weichen Wecker, die Hälfte des Umsatzes bestreiten zu können.14

Anzeige für den freundlichen Kissenwecker

Anzeige für den freundlichen Kissenwecker

Die Firma Mauthe sei nicht auf staatliche Hilfe angewiesen erklärte Dieter Reiber vollmundig. „Für Mauthe habe …  derzeit Sicherung der Arbeitsplätze aus eigener Kraft Vorrang vor schwierigen Kooperationsverhandlungen und öffentlichen Subventionen.“   15

Selbst die FAZ berichtete über die Schwenninger Wende in der Uhrenindustrie und den mutigen investitionsbereiten Manager: Mauthe-Uhren mit neuem ‚Wecksound‘.  „Der weiche ‚Kiss Kiss‘ soll dem Absatz neue Impulse geben.„ Der Kissenwecker ist ganz offensichtlich das erste Produkt der neuen Aktivitäten des ehemaligen Porst-Managers Reiber, der dem Unternehmen seit einem Jahr angehört und inzwischen Sprecher der Geschäftsleitung ist.

Das Produkt ist dabei systematisch nach Marketinggesichtspunkten aufgebaut worden. Der Weckermarkt ist nach Ansicht Reibers völlig übersetzt, größere Unterschiede (zwischen den Weckern auf dem Markt) gibt es nicht. Demgegenüber will Mauthe mit dem ‚Kiss Kiss‘ ein Markenimage aufbauen… Zur Absatzförderung ist eine  Werbekampagne geplant, für die allein rund eine halbe Million DM bereitgestellt wird. … Die Investitionen und Vorleistungen in den Kissenwecker beziffert man in Schwenningen mit mehreren Millionen DM, was angesichts der seit Jahren andauernden Schwierigkeiten, in die die zu den führenden Großuhrenherstellern zählende Familiengesellschaft geraten war, sicher nicht leicht gefallen ist. Zur Finanzierung dienten… unter anderem auch Grundstücksverkäufe…. Im vergangenen Jahr wurden rund 20 Millionen umgesetzt, 75 Prozent davon mit Uhren… einige Großaufträge seien schon vorhanden… Reiber erwartete für 1975 auch erstmals seit langer Zeit wieder schwarze Zahlen. In etwa zwei Jahren, so schätzt er, dürfte Mauthe endgültig über dem Berg sein.“16

Dieter Reiber und der Kiss Kiss würde schon alles richten, der weltweite Durchbruch schien gewiss. Sehr viel Geld wurde weltweit für den Warenzeichen und Gebrauchsmusterschutz ausgegeben. Die den Kiss Kiss begleitende Werbekampagne sprengte alle Grenzen. Sie berücksichtigte, bundesweit alle großen Städte, Werbedamen wurden zusätzlich eingesetzt und geschult, Anzeigen großflächig geschaltet

Seit der Präsentation im Beethovenhaus  „reisten Mauthe Repräsentanten durch die BRD: in acht deutschen Großstädten führten sie vor insgesamt 700 Vertretern des Fachhandels ihre Novität vor. Mauthe-Geschäftsführer Dieter Reiber machte in einem Marktreferat auf den Händlertagen klar, dass dieser neue Markenartikel in Großuhren just das sei, worauf der Fachhandel gewartet habe. Er pries die jüngste Entwicklung Mauthes als einen Marktartikel mit Zusatznutzen, der geeignet sei, die konjunkturelle Lage des Fachhandels zu beleben. Untermauert wurden diese Ausführungen durch eine Tonbildschau und einen Produktpavillon… Nicht weniger als 70 000 ‚kiss-kiss‘-Wecker wurden bis zum Ende der Händlertage verkauft. 14 Prozent mehr, als man für die Erstauslieferung erwartet hatte.“17

  1. Mauthe-Archiv, Kiss Kiss P13 I, Nr. 4 Projektvertrag S. 2 []
  2. a.a.O. S.3, vgl. dazu Zusammenstellung der GfU in der Gesellschafterversammlung v. 1. 4. 1974 „Planung 1974, Konzeption 1975, neue Organisationsform“ []
  3. a.a.O. Dieter Reiber wurde durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 1.4.74 zum Geschäftsführer bestellt. Ihm oblag die Projektleitung. []
  4. Dieses Ziel wurde später auf 100 000 batteriebetriebene und 50 elektronische Kissenwecker nach oben korrigiert. []
  5. Horst Jüdemann: Marketingprogramm v. 30.5.1974. „Stimmung machen für Mauthe“ []
  6. a.a.O. []
  7. Außendienst-Mitarbeiter []
  8. SAVS 4.9 / 999 FAZ 14.8.1974. Mauthe mit neuem Produkt/ Uhrenfachkräfte gesucht. []
  9. SAVS 4.9 / 999, SWP 19.9.1974, Traditionsreiche Uhrenfabrik baut auf ihr neues Werk. Mauthes Zukunft bei ‚Kiss-Kiss‘. Im September 73 hat es begonnen/ Geheimnummer ‚13‘. []
  10. SAVS 4.9 / 999 SWP 18.9.1974, Ein Produkt des Muts. []
  11. a.a.O. []
  12. SAVS 4.9 / 999 SWP 19.9.1974 Mauthe setzt auf Weckerneuheiten []
  13. SAVS 4.9 / 999 Stuttgarter Zeitung 19.9.1974,  Mauthe: Rote Zahlen sollen 1975 verschwinden. []
  14.   SAVS 4.9 / 999 SWP 19.9.1974 Mauthe setzt auf Weckerneuheit. []
  15. SAVS 4.9 / 999 SWP 19.9.1974 Arbeitsplätze für 1975 noch sicher. []
  16. SAVS 4.9 / 999 FAZ 19.9.1974 []
  17. SAVS 4.9 / 999 SWP 17.10.1974 Schlafzimmer-Aktion ein Erfolg: Mauthe-Uhrenfabrik läuft auf vollen Touren []

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