Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

„Kiss Kiss von Mauthe – Der freundliche Kissenwecker. Weckt nur den, der aufstehen muss. Lässt den anderen schlafen.“

geschrieben am: 02.09.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Kiss Kiss-Projekt, Uhrenfabrik Mauthe
Mauthe kiss-kiss electronic

Mauthe kiss-kiss electronic

Der Kiss-Kiss-Wecker, das neue Produkt von Mauthe wurde von der Ponder AG Basel entwickelt. Den Auftrag gab die GfU, das Unternehmen von Dieter Reiber.1  Das zu entwickelnde Produkt sollte  „Lokomotive“ des zukünftigen Wecker-Programms der Firma Mauthe werden.

Für die Produktkonzeption berechnete die Ponder AG der GfU 150 000 DM.2 Ein weiterer Vertrag zwischen der Fa Mauthe und der GfU  vom 13.3.1974 legte fest, dass die GfU eine neue Grundkonzeption ‚Kissenwecker‘ entwickeln sollte, auf der Basis des  von der Firma Ponder AG, Basel, erarbeiteten Vorschlags.  Die GfU sollte für ihre Leistungen für jeden hergestellten Wecker 0,35 DM plus Mehrwertsteuer erhalten.3

Der Kiss Kiss: Die Kraft einer neuen  Idee?

„Wirklich lösen kann das Problem nur die Kraft einer eigenständigen, starken Idee. Nur eine neue Idee kann ein neues Produkt-Konzept auf diesem Sektor sowohl für den Verbraucher als auch für den Handel attraktiv machen.“ So argumentierten die Produktentwickler der Schweizer Firma Ponder AG.4

Folgenden Kriterien müsse ein solches Produkt daher gerecht werden.

Es müsse vor allem einen „einleuchtenden Zusatznutzen“ haben.  Die Lösung müsse eine „ breite Akzeptanz“ finden und es ermöglichen, dass „hunderttausende Uhrwerke“ abgesetzt werden können. Es müsse ein „Mut-Produkt“ sein, mit einem auffallenden „Erscheinungsbild“, die  „Bereitschaft zum Risiko“ müsse deutlich werden.

Die Produktidee müsse so überzeugen, dass der Handel regelrecht „genötigt werde, es (das Produkt) zu verkaufen“,   das Produkt müsse „ unvergleichlich sein“ wenn man es mit den Konkurrenzprodukten vergleichen würde,  so „einzigartig“ sein, „dass der Konsument den Wecker nicht kauft, weil der alte nicht mehr funktionsfähig ist, sondern weil er das neue Produkt will.“5

Mit dem Kissenwecker glaubten die Entwickler, sei eine absolut „originäre“ Idee gefunden, die die Probleme der Firma Mauthe lösen würde.6

Wie verkauft man ein Produkt, das eigentlich niemand braucht?

Das grundsätzliche Problem war, wie verkauft man einen Wecker, wenn jeder schon einen Wecker hat? Nötig sei eine „bewerb-bare, PR-fähige Idee“, die eine „interessante PR-Story“ ergebe.7  Das heißt, es wird kein Wecker mehr verkauft,  sondern ein positives Gefühl, ein besseres Selbstbild.

Die „ PR-Story“, die möglichst viele Menschen zum Kauf anregen sollte, wurde aus der Situation des morgendlichen Weckens und Aufstehen entwickelt.

Schließlich, wer kennt nicht die Situation, wenn morgens der Wecker klingelt, weil man aufstehen muss, aber der Partner noch schlafen will?

„Der Wecker auf einem Nachttisch weckt zwangsläufig beide Ehepartner, obwohl in diesem Augenblick oft nur der eine aufstehen muß, während der andere ohne weiteres noch etwas weiterschlafen könnte – sei es, weil die Frau früher aufstehen müßte, um das Frühstück zu vorzubereiten, sei es, weil der Mann wegen einer Reise früher aufstehen müßte, etc.

Dieses Problem ist von allen Ehepaaren, die einen Wecker auf dem Nachttisch stehen haben, als selbstverständlich akzeptiert. Und gerade daraus läßt sich ein einzigartiger zusätzlicher Produkt-Nutzen für einen neuen Wecker ableiten.

Denn für sehr viele Menschen wären die zusätzlich gewonnen Schlaf-Minuten, -Viertelstunden oder gar –Stunden am Morgen höchst kostbar und verbunden mit einem höchst begehrenswerten Gefühl von Zeit-Luxus: wenn nämlich nur der eine geweckt wird, der auch tatsächlich aufstehen muß.

Außerdem hätte dann der Partner, der individuell geweckt wurde und sowieso hätte aufstehen müssen, die Möglichkeit, dem anderen einen guten Dienst zu erweisen, ohne daß ihn das selbst irgendetwas kostet.“8

Dieser „Zusatznutzen“ entsprach angeblich  einem „allgemein vorhandenen, unausgesprochenen Bedürfnis“, er hatte eine „echte Funktion“, ergab sich „aus dem natürlichen Weckerumfeld“, war „einfach und einleuchtend“, für beide Partner begehrenswert, „individuell anwendbar für sie und ihn“.9 So sahen dies jedenfalls die Entwickler der Kissenwecker-Idee.

Aus dieser PR-Story ließen sich problemlos eingängige Slogans ableiten wie:

  • „Weckt nur den, der aufstehen muß. Läßt den anderen schlafen“.
  • „Mauthe macht den Wecker munter!“
  • „Die Mauthe-Weiche-Wecker-Welle rollt über Deutschland!“
  • „Weckt nur den, der aufstehen muß,  läßt den andern schlafen.“
  • „Kiss-Kiss – Der neue Kissenwecker von Mauthe.“
  • „Schenken Sie ihm diese köstlichen 10 Minuten – das bißchen mehr Schlaf,bevor der Tag beginnt.“10

Produktname wurde „Kiss-Kiss – Der neue Kissenwecker von Mauthe,“  ein Name,  den man im englischen Sprachraum problemlos übernehmen konnte, der außerdem die Assoziation an weiche Kissen und an Küsse zuließ.

Die Realisierung

Von dem neuen Wecker-Erscheinungsbild versprach man sich ein echtes Alleinstellungsmerkmal und hoffte deshalb auf spontane Kaufentscheidungen. In dem gesättigten, übervollen Markt gebe es jetzt „ein neues Profil, und zwar eines, das eine sehr menschliche, einfache, jeden angehende Story erzählt. Die PR in der Einführungsphase sei besonders wichtig und würde „dem Hause Mauthe als solchem zugutekommen“, das heißt sich in höheren Verkaufszahlen ausdrücken.

Für die Kaufentscheidung des Konsumenten würde das „Individuelles Wecken“ sprechen,  auf dem Nachttisch würde jetzt ein „völlig neues ungewohntes optisches Element“ stehen. Der Wecker sei reisetauglich, lasse sich gut  in den Koffer packen. Er stelle eine gute Geschenkmöglichkeit dar und  man könne ihn vor allem zusätzlich zu anderen konventionellen Weckern haben.

Der Zusatznutzen würde einfach realisiert. Kissen und Schlafen gehörten zusammen, dies sei eine wichtige Denkverbindung für den Verbraucher. Eine Textilummantelung schaffe ein neues „ sympathisches“ und „weiches“ Erscheinungsbild. Der Wecker müßte weich sein. „Einen harten Gegenstand legt man nicht unters Kopfkissen“. Der Wecker müsse selbst „die Form eines  kleinen attraktiven Kissens“ annehmen.

Diese Kissen konnte man ganz unterschiedlich gestalten. Die verschiedensten Formen waren möglich, zum Beispiel  Herzform, Lippenform, originelle Stoffe.

Außerdem sollte die die neue Produktidee möglichst „auf Teile des Sortiments übertragbar sein.“11

Die technischen Voraussetzungen dafür waren einfach: „Das Uhrwerk wird in einen Rahmen gefaßt und mit einem Schaumstoffkissen oder Polyesterkissen so überzogen, dass Zifferblatt und rückwärtige Bedienungsplatte sichtbar bzw. erreichbar bleiben“ für das  Uhrwerk mit nebengestellter, möglichst flacher Batterie.12

Weiterhin war zwingend notwendig: Das Uhrwerk muss leise laufen. Darf den Schlafenden nicht stören. Der Wecker sollte ein möglichst individuell einstellbares Läutwerk haben.  Bei den Batteriewerken konnte man grundsätzlich davon ausgehen, dass sie leise waren. Gewünscht wurde ein  Läutwerk, mit einem individuell einstellbaren Weckton in zwei Stufen. Abstellen des Wecktons sollte möglich sein durch seitliches Zusammendrücken.

Den Kiss Kiss gab es in sechs verschiedenen Ausführungen, mit mechanischem Uhrwerk im runden Kissen, mit einen Jeansbezug oder mit blau-weißem Karo für 59 DM. Der Weckmechanismus bestand aus ca. 50 Einzelschlägen bei der mechanischen Ausführungen.

Der Kiss Kiss-electronic kostete 99 DM. Das Uhrwerk wurde bei Junghans produziert. Die Form des Weckers war rechteckig. Es gab vier unterschiedliche Bezüge: Trachten (schwarz geblümt), Frotte (orange), Kord (rost) und Jeans bestickt. Beim Batteriewerk war die Lautstärke des Wecktons außerdem verstellbar.13

Anzeige: Das Kiss Kiss-Sortiment

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Wichtig war, dass der Wecker mit möglichst geräuscharmen Wecktönen auskam. Die Grundlage eines  angemeldeten Patents14 war deshalb „die Tatsache, daß man nicht durch den Weckton, sondern auch durch die Schallschwingungen, die sich über das Kissen auf den Schlafenden übertragen, geweckt“ wurde.“15 Selbstverständlich hatten beide Wecker „ausgezeichnete Präzisionswerke, deren Zuverlässigkeit und Genauigkeit höchsten Ansprüchen gerecht“ wurde.16

Die Idee des Kissenweckers ließ sich leider wegen ihrer Einfachheit  schnell kopieren, weshalb sie im Dezember 1973 einem frühen Stadium  des Projekts vertraulich behandelt wurde.17  Vom ersten Konzept gab es nur 5 Exemplare. Das Projekt firmierte unter P 13 und war streng geheim.

Wegen der leichten Imitierbarkeit war es wichtig den neuen Kissenwecker möglichst schnell zu schützen. Die Macher waren überzeugt, dass der Kiss Kiss eine große Zukunft habe, der weltweite Durchbruch schien gewiss. Sehr viel Geld wurde deshalb weltweit ür den Warenzeichen- und Gebrauchsmusterschutz ausgegeben. Selbst in Japan wollte man den Kiss Kiss verkaufen und sah gute Chancen.18

Urkunde über das Warenzeichen kiss-kiss für die Bundesrepublik Deutschland

Urkunde über das Warenzeichen kiss-kiss für die Bundesrepublik Deutschland

Einreeichungszertifikat für das Warenzeichen kiss-kiss in Japan

Einreichungszertifikat für das Warenzeichen kiss-kiss in Japan

Durch die einfache technische Realisierung sahen die Verantwortlichen sich in der Lage  das neue Modell bereits im September 1974 auf den Markt zu bringen, um  „das Weihnachtsgeschenkgeschäft für Mauthe schon im kommenden Jahr“ mitzunehmen.19

Gedruckt veröffentlicht: Annemarie Conradt-Mach, Kiss Kiss – der Anfang vom Ende einer Uhrenfabrik, II. In: Schwenninger Heimatverein (Hrsg.), Das Heimatblättle. Eine Schwenninger Monatsschrift für Stadtgeschichte und Brauchtum; 62. Jahrgang Nr. 10, 737. Folge, Oktober 2014, S. 1/ 4.

  1. Mauthe-Archiv Pfänder Kiss Kiss P 13 I []
  2. Schreiben der Ponder AG an die GfU v. 9.11.1973 Mauthe Archiv Kiss Kiss  I []
  3. A.a.O.  Lizenzvertrag v. 13.3.1974 Vertragspartner: Dieter Reiber für die GfU (Gesellschaft für Unternehmens und Projektmanagement mbH, Schwaig bei Nürnberg, Abendrotstrasse 5) Bertsch – Friedrich Mauthe GmbH  Schwenningen, Kronenstrasse 21-23,  insg. 13 Seiten. S. 8 []
  4. Mauthe-Archiv Pfänder Kiss Kiss P 13 I, Ponder AG Gesellschaft für Beratung und Entwicklung. Vertraulich. Produktkonzeption „Batteriewecker“ Für die Firma Mauthe. Präsentation am 13. Dezember 1973. S.3 []
  5. a.a.O.S.4 []
  6. Schreiben Ponder AG an Reiber v. 13.2.1974. Die Ponder AG bestätigt, daß die Produktidee „völlig neu“ entwickelt sei. Die Idee sei nach Ansicht von Fachleuten „absolut originär“ []
  7. a.a.O. S. 7 []
  8. Mauthe-Archiv Pfänder Kiss Kiss P 13 I, Ponder AG Gesellschaft für Beratung und Entwicklung. Vertraulich. Produktkonzeption „Batteriewecker“ Für die Firma Mauthe. Präsentation am 13. Dezember 1973. S. 7f []
  9. a.a.O. []
  10. a.a.O.S.17f []
  11. a.a.O. []
  12. a.a.O. []
  13. Mauthe-Archiv Pfänder Kiss Kiss P 13 II, Mauthe – Promotion-Aktion, Produktinformation S. 1 []
  14. In den mir vorliegenden Unterlagen fand sich keine Patentanmeldung. Einziger Hinweis war eine Produktinformation. Mauthe-Archiv Pfänder Kiss Kiss P 13 II, a.a.O.S. 3 und Kiss Kiss P 13 IV, Aktennotiz vom 20.1.1975 Herr Sass und Herr Reiber haben … telefonisch entschieden, „daß die Frage der Patent-Anmeldung…im Augenblick nicht betrieben wird.“ []
  15. a.a.O.S.3 []
  16. a.a.O.S.3 []
  17. a.a.O. Präsentation am 13. Dezember 1973 []
  18. A.a.O. Bd. II []
  19. a.a.O. []
Claudia am 7. November 2018 um 14:10 Uhr

Mein Bruder hatte früher einen Kiss-Kiss. Nun wollte ich einen für meine Kinder kaufen und bin sehr enttäuscht, dass es sie nur noch Museum gibt. Eigentlich war es doch eine tolle Idee…

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